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Vorstand und Beirat sowie Mitarbeiterinnen des Finnland-Instituts im Juni 2019. © Finnland-Institut/Fanny Thalén

25JahreDialog: Interview mit Prof. Dr. Birgit Jank

Die Sibelius-Leidenschaft ihrer Musiklehrerin und der Auftritt eines finnischen Frauenchores mit dem Komponisten Kaj Chydenius weckten bei der späteren Professorin für Musikpädagogik und -didaktik erstes Finnland-Interesse. In diesem Interview schildert Birgit Jank unter anderem, welche große Bedeutung Musik und musikalische Bildung im Kulturaustausch haben – längst nicht nur in Deutschland und Finnland.

Woher stammt Ihr Interesse an Finnland und der finnischen Kultur? Wie hat sich Ihre berufliche und persönliche Beziehung zu Finnland über die Jahre entwickelt?

Erste Berührungen hatte ich bereits in der Schule, als Werke von Jean Sibelius im Musikunterricht behandelt wurden. Ich erinnere mich noch, wie mich die Sehnsucht, die in dieser Musik steckte, sehr bewegt hat. Finnland war für mich in meiner kleinen Schule im brandenburgischen Luckenwalde weit weg und schien unerreichbar; ich hatte aber durch meine damalige Musiklehrerin, die Sibelius-Fan war, eine recht positive musikalische Einführung erhalten. Umso mehr konnte sich bei mir auch Fantasie entwickeln, wie dieses Land wohl sei. Später im Musikstudium an der Berliner Humboldt-Universität spielten in der Ausbildung und im Chorgesang finnische Komponisten immer wieder mal eine Rolle. Am tiefsten hat mich jedoch ein Ereignis zu Beginn der achtziger Jahre bewegt. Der Komponist Kaj Chydenius kam mit einem finnischen Frauenchor nach Ostberlin und gab in der Volksbühne Ost ein Konzert. Die Kraft der Lieder mit wunderschönen Arrangements, die überwiegend tiefen Frauenstimmen und dazugehörigen selbstbewussten Persönlichkeiten auf der Bühne waren so natürlich und beeindruckend, dass ich beschloss, ein finnisches Lied in mein Repertoire aufzunehmen. Der mehrstimmige Satz des finnischen Volkslieds Kalliolle kukkulalle hatte es mir angetan und ich habe dafür gesorgt, dass in meiner jahrzehntelangen Arbeit als Dozentin und später als Professorin für Musikpädagogik an verschiedenen Hochschulen dieses Lied in die Schulbücher, in Musiklehrerfortbildungen und in die Ausbildung kam. So bekam es zumindest im Osten Deutschlands eine große Verbreitung. Gerade vor wenigen Monaten, zum 40. Jubiläum unseres Musiklehrerstudiums an der Berliner Humboldt-Universität, haben wir es wie viele andere schöne Lieder wieder gesungen. So kam ich auch auf Idee, es gemeinsam mit dem Beirat und dem Vorstand auf der letzten Beiratssitzung des Finnland-Instituts gemeinsam zu singen. Sein Zauber funktioniert immer noch.

 

Wie gestaltet(e) sich Ihr Kontakt zu Finnlands Musikpädagogikszene?

Den intensivsten Kontakt konnte ich im Rahmen eines mehrjährigen ERASMUS-Austausches von Studierenden und Dozentinnen und Dozenten zwischen der Universität Potsdam und der Sibelius-Akademie erfahren. So besuchte ich auch diese finnische Hochschule mit großem Namen und konnte mich über die hohe Qualität in der Musiklehrerausbildung informieren. Der Besuch einiger Veranstaltungen des Finnland-Instituts kam hinzu.

 

Wie würden Sie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der schulischen Musikpädagogik Deutschlands und Finnlands beschreiben?

Gemeinsam ist sicherlich, dass es im Musikunterricht beider Länder um eine musikstilistisch breite und interkulturell ausgerichtete Erziehung geht. In beiden Ländern steht hierbei nicht nur der Musikunterricht, sondern der Schwerpunkt Musik in der Schule im Mittelpunkt. Das heißt, dass Bands, Chöre, Instrumentalgruppen verschiedenster Art und Musikmedienarbeit neben dem Pflichtmusikunterricht eine ebenso große Rolle spielen wie Musikanbieter von außen wie zum Beispiel Orchester oder Konzerthäuser, die Angebote für Schulen organisieren; der sogenannte Education-Bereich in der Musik. Hier sollten noch viel intensivere Erfahrungsaustausche organisiert werden, denn sicherlich kann die deutsche Schule hier von finnischen Traditionen lernen. Musiklernen an anderen Orten ist für Kinder und Jugendliche wichtig. So erzählte ein finnischer Musikstudent an der Universität Potsdam in einem musikpädagogischen Seminar, in dem es um musikalische Kindheitserfahrungen ging, Folgendes: Dass er in seiner Heimat weniger an einer Musikschule gewesen sei, sondern sich in einem „Musikhus“ in seinem kleinen Dorf mit Freunden getroffen habe und dort viele verschiedene Musikinstrumente kennenlernen konnte, die von der Gemeinde kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Das gemeinsame Musizieren war hier der Kern vieler Treffen, man konnte aber auch hingehen und nur für sich üben. Diese selbstbestimmten Musikerfahrungen hätten ihn sehr nah an die Musik herangebracht. Das Besondere für mich war, dass offenbar in Finnland die Gemeinden sehr viel Geld in eine Infrastruktur stecken, um Kultur auf dem Lande für alle zu ermöglichen. Deutschland beginnt erst gegenwärtig wieder, den ländlichen Raum zu entdecken und zu stabilisieren, auch mit verschiedenen kulturellen Projekten.

 

Welche besonderen Aspekte bringt die Zusammenarbeit finnischer und deutscher Musikpädagogen Ihrer Ansicht nach hervor? Was ist Ihnen persönlich dabei am wichtigsten?

Ich glaube, es ist immer sehr wichtig, wenn sich Menschen treffen und sich austauschen können. Natürlich sollte dies immer auf Augenhöhe passieren, denn nur durch genaues Hinhören und Beobachten versteht man oft erst wirklich, welche Kulturhintergründe eine Rolle spielen. „C-Dur ist C-Dur“, dieser alte Spruch von Musikern hat hier eine tiefe Wahrheit: Man kann schnell in das gemeinsame Musizieren einsteigen, auch ohne die Sprache des anderen Landes zu beherrschen. Die Musik spricht für sich, kann gemeinsam ohne Worte erarbeitet werden. So finde ich es zum Beispiel auch wichtig, wenn Komponistinnen und Komponisten die Schulen besuchen und mit Kindern und Jugendlichen Musikproduktionsprozesse anregen und gestalten. Dies bringt neue ästhetische Horizonte in die Schule. So kann zum Beispiel Streit mit ästhetischen Mitteln erprobt werden, ohne wirklich weh zu tun. Überhaupt bekommt aus meiner Sicht das ästhetische Lernen zum Aufbau einer eigenen sozialen Fantasie an deutschen Schulen viel zu wenig Beachtung.

 

Seit 2005 sind Sie Mitglied und seit 2019 Vorsitzende im Beirat des Finnland-Instituts in Deutschland. Wie entstand Ihre Verbindung zum Institut, und welche Schwerpunkte möchten Sie als Beiratsvorsitzende setzen?

Als die PISA-Diskussion in Deutschland aufkam, arbeitete ich an der Universität der Künste in Berlin. Der damalige Leiter des Finnland-Instituts, Professor Hannes Saarinen, fragte mich, ob ich Gesprächspartnerin bei einem Radio-Interview sein möchte. Es war ein gutes Gespräch und fortan engagierte ich mich beim Finnland-Institut. So organisierten wir gemeinsam einen Studierenden-Austausch mit der Sibelius-Akademie Helsinki und gestalteten einen gemeinsamen Workshop mit Unterstützung des Finnland-Instituts. Seit dieser Zeit bemühte ich mich im Beirat, Erfahrungen und Ratschläge aus meinen breiten Netz in Kultur und Bildung in die Diskussionen einzubringen. Auch das schöne Land der Finnen konnte ich durch mehrere private Fahrten unter anderem mit meinen beiden Kindern kennenlernen und war verzaubert.

Als neue Beiratsvorsitzende möchte ich versuchen, die konstruktive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten zu vertiefen und auszubauen. Deshalb sollen eine offene Kommunikation und ein kontinuierlicher Austausch innerhalb des Beirats und mit dem Institut sowie dem Vorstand im Vordergrund stehen. Ich sehe die Beiratsmitglieder als wichtige Multiplikatoren in ihren jeweiligen Arbeits- und Wirkungsfeldern an. Deshalb soll versucht werden, in dieser Wahlperiode noch stärker binnendifferenziert zu arbeiten, beispielsweise durch Einberufung von Arbeitsgruppen und kleineren Beraterteams zu Wirtschaft, Musik, Design, Literatur, Kulturelle Bildung und anderem mehr. Der Beirat soll zudem sichtbarer werden, ohne sich in die Arbeit des Instituts hineinzudrängen – zum Bespiel durch eine Präsenz auf der Website sowie in anderen Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Der Beirat und die Vorsitzenden sollen auch weiterhin Hilfen geben bei der Themen- und Projektentwicklung des Finnland-Instituts und bei Bedarf beratend bei ausgewählten Sachfragen zur Verfügung stehen. Inhaltlich könnte ich mir mittelfristig einen Schwerpunkt zur Kulturellen Bildung vorstellen.

 

Was bedeutet eine Institution wie das Finnland-Institut für den deutsch-finnischen Dialog?

Das Finnland-Institut mit seinen kompetenten und charmanten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leistet aus meiner Sicht eine hervorragende Arbeit. Zielgerichtet und ohne jeden unnötigen Druck werden Projekte geplant und durchgeführt, die dann Persönlichkeiten ganz unterschiedlicher Bereiche aus verschiedenen Ländern zusammenbringen. Die große Bandbreite der Themen wird öffentlich sehr gut kommuniziert und beworben. Zuletzt ist es aber die Freundlichkeit und die hohe Motivation aller Beteiligten, etwas Sinnhaftes und Anspruchsvolles im Sinne einer humanen Völkerverständigung zustande zu bringen. Und eben dies erfüllt auch mich.

 

Die Fragen stellt Emilia Syväjärvi.
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Birgit Jank. © Finnland-Institut/Foto: Fanny Thalén

Birgit Jank wurde an der Berliner Humboldt-Universität promoviert, habilitiert und hat zudem ein Gesangsstudium an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin abgeschlossen. An der Universität Potsdam, der Universität der Künste Berlin, der Universität Hamburg und der Alice-Salomon-Hochschule Berlin hatte sie Professuren mit verschiedenen Themenschwerpunkten wie Erziehungswissenschaft, Soziale Arbeit und Musikpädagogik inne. Sie ist Mitgründerin und Gesellschafterin der Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam, die Felder der Sozialen Arbeit mit Arbeitsfeldern der Ästhetik in dualen Studiengängen verbindet. Derzeit amtiert sie als Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats dieser Hochschule. Birgit Jank hat im Laufe ihrer Karriere verschiedene Spitzenpositionen in musikpädagogischen und bildungspolitischen Gremien, Verbänden − u.a. im Deutschen Kultur- und Musikrat − sowie Akkreditierungen im In- und Ausland übernommen. So ist sie zurzeit im Bundesnetzwerk Inklusion und Kultur sowie als Vizepräsidentin des Landesmusikrates Brandenburg tätig. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören u.a. die Liedforschung, Musik und Inklusion, Jugendmusikkulturen und Musikpädagogik in sozialen Kontexten. Diese Arbeit hat in zahlreichen, viel beachteten Publikationen und Büchern Niederschlag gefunden.

Prof. Dr. Birgit Jank ist seit 2005 Mitglied des Beirats des Finnland-Instituts in Deutschland und seit 2019 Beiratsvorsitzende.

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Das Finnland-Institut wird im Herbst 2019 25 Jahre alt. Als erstes Kultur- und Wissenschaftsinstitut Finnlands im deutschsprachigen Europa wurde es Ende September 1994 eröffnet. In diesen 25 Jahren war der Dialog zwischen den finnischen Partnern und den Akteuren vor Ort in Deutschland, Österreich und der Schweiz zentral in der Tätigkeit des Finnland-Instituts. Diesen Dialog haben im der Laufe der Jahre die vielen Personen und Persönlichkeiten ermöglicht, die sich im Namen des Finnland-Instituts für den Austausch zwischen den Ländern engagiert haben. In unserer Blog-Reihe #25JahreDialog kommen im Laufe des Jahres einige von ihnen zu Wort.

 

Emilia Syväjärvi studiert an den Universitäten Münster und Twente/Niederlande Politikwissenschaften und Public Governance. Sie war im Sommer 2019 Praktikantin am Finnland-Institut.

Emilia Syväjärvi opiskelee valtio- ja hallintotiedettä Münsterin ja Twenten (Alankomaat) yliopistoissa. Hän oli harjoittelijana Suomen Saksan-instituutissa kesällä 2019.

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