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Foto: Ulrike Richter-Vapaatalo

„I’m from Finland, but I’m German“ – Vom Reichtum, mehr als eine Heimat zu haben

Ist es möglich, mehr als eine Heimat zu haben? Kann man in Deutschland und in Finnland zu Hause sein? Ja, das geht absolut – sagt Ulrike Richter-Vapaatalo, die seit über 20 Jahren mit ihrer Familie in Helsinki lebt. Zusammen mit Petra Schirrmann hat sie das Buch Deutschland meine Heimat, Finnland mein Zuhause. Lebensgeschichten deutscher Frauen im Finnland von heute geschrieben. Darin kommen insgesamt 21 Frauen aus unterschiedlichen Generationen und Gegenden Deutschlands zu Wort, für die Suomi zur (zweiten) Heimat, zum Zuhause geworden ist.

War für viele die Liebe zu einem finnischen Mann der Hauptbeweggrund, in den Norden zu ziehen, so haben die meisten der interviewten Frauen inzwischen jedoch auch beruflich und sozial, unabhängig vom Partner, im Land Fuß gefasst – wie auch Ulrike Richter-Vapaatalo. Finnland, wo sie bald schon die Hälfte ihres Lebens verbracht hat, bezeichnet sie als ihr Zuhause.

„Hier gehöre ich hin“ – Finnland als Wahlheimat
Zuhause ist Finnland auch für die meisten Frauen im Buch. Für einige war das Land „Liebe auf den ersten Blick“. Vor allem diejenigen, die in Lappland oder Karelien auf dem Land wohnen, haben sofort gespürt, dort hinzugehören.

Abgesehen von der beeindruckenden Natur, von der alle schwärmen, verbinden viele Finnland auch mit Ruhe und mit Freiheit. Die ruhige Art ihrer finnischen Partner, die entspannte und entgegennahmebereite Haltung dem Leben gegenüber hat einige Interviewte anfangs besonders angezogen und gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit. Außerdem gefällt vielen die finnische Direktheit und Ehrlichkeit. Man kann so leichter ein Gefühl von Vertrauen aufbauen – was auch Heimat schafft.

Heimat in der Sprache?
Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, sich in Finnland heimisch fühlen zu können, ist für Richter-Vapaatalo die Kenntnis der finnischen Sprache. Vielen interviewten Frauen fiel es vor allem wegen fehlender Sprachkenntnisse anfangs schwer, engere Kontakte zu Finnen zu knüpfen. Ein weiteres Problem, das Menschen, die hauptsächlich in einer anderen als ihrer Muttersprache leben und kommunizieren, vermutlich kennen: Man fühlt sich in keiner Sprache als „man selbst“ und damit auch in keiner Sprache richtig „zuhause“.
Sprachkenntnisse allein müssen jedoch nicht die Integration ausmachen, findet Richter-Vapataalo. Nicht zuletzt gibt es in ihrem Buch viele Lebensgeschichten, in denen die Sprache nicht die wichtigste Rolle spielt, sondern eher das Sich-Einfühlen das Wichtigste ist.

„In beide Richtungen fliege ich nach Hause“ – zwischen zwei Kulturen
In zwei Welten zu leben, ist nicht immer leicht. Manche sind der Meinung, „man wird in keinem Land mehr eine volle Person sein“. Vor allem, wenn der Partner kein Deutsch spricht und Familie und Freunde sich nicht verständigen können, „sitzt man zwischen zwei Stühlen“. Auch, wenn Finnland zum Zuhause geworden ist, gehören doch für die meisten der Interviewten die deutschen Wurzeln unweigerlich dazu. Dass man sich nach Jahren des Lebens in Finnland jedoch von Deutschland entfremden kann, ist nachvollziehbar. Oftmals haben die Frauen ein zwiespältiges Verhältnis zum Herkunftsland.

Das Leben in und mit mehreren Kulturen kann jedoch auch als Mehrwert, als Bereicherung gesehen werden, wenn man sich von allem das Wichtigste bewahrt und trotz Anpassung die eigene Identität nicht aufgibt. Richter-Vapaatalo sieht es mehr als ein „Sowohl-als-auch“ denn als „Entweder-oder“. Interviewte sprechen von „zwei Paradiesen“ und dem „Reichtum der zwei Kulturen“. Viele der Frauen hat Finnland stark gemacht, sie sind dort so aufgenommen worden, wie sie sind. Einige fühlen sich sogar „finnischer“ als die meisten Finnen.
Wie man mit mehreren Heimaten, der Konfrontation mit mehreren Kulturen und Sprachen umgeht, ist letztendlich eine sehr individuelle Frage. Die ständige interkulturelle Situation gibt einem jedoch immer wieder Gelegenheit zur Reflexion, zur Identitätsbestimmung und zur persönlichen Entwicklung.

Autorin: Sofia Gruca

Vielen Dank an Ulrike Richter-Vapaatalo für das Interview!

Ulrike Richter-Vapaatalo und Petra Schirrmann lesen am 9.11.2016 um 19 Uhr im Finnland-Institut aus Deutschland meine Heimat, Finnland mein Zuhause.

Die Lesung ist die Auftaktveranstaltung einer Reihe von Veranstaltungen am Finnland-Institut im November 2016, die sich mit Themen wie „Heim/at“ im deutsch-finnischen Kontext beschäftigen:
10.–11.11.2016 Tagung Finnen in Berlin, Deutsche in Helsinki – Erfahrungen und Begegnungen aus zwei Jahrhunderten
10.11.2016, 19 Uhr: Vortrag Dr. Ulla Savolainen, Universität Helsinki: The Case of Karelian Evacuees in Finland

Das Thema Heim/at steht auch 2017 am Finnland-Institut noch einmal im Fokus, und zwar im Rahmen von Mobile Home 2017 – übrigens anlässlich des Festjahres zum 100-jährigen Jubiläum der staatlichen Souveränität Finnlands

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