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Leseland Finnland

Unsere Kulturreferentin Emma Aulanko schrieb für das Finnland Magazin der Schweizerischen Vereinigung Der Freunde Finnlands über das Thema Lesen in Finnland – wir freuen uns, den Artikel auch in unserem Blog zu veröffentlichen.

 

Auf Familienfotos begegnet mir meine Großmutter Hilkka beim Bootsausflug oder beim Zelten, zur Winterzeit in ihrem Lieblingssessel und im Hochsommer im Gartenstuhl immer in ein- und derselben Position: sitzend, mit leicht geneigtem Kopf und mit einem Buch in der Hand. Sie war eine leidenschaftliche Leserin und hat ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln die Liebe zu Büchern weitergegeben.

Der Glaube an das Lesen als Quelle von Bildung als Jedermannsrecht ist tief im finnischen Wertesystem verankert. Wissen wird in der finnischen Gesellschaft hoch geschätzt: selbst im Nationalepos Kalevala duellieren sich der alte weise Väinämöinen und der junge Streithahn Lemminkäinen mit Worten und Gesängen, nicht mit Waffen.

Lesen ist die Grundlage für das Lernen. Seit den PISA-Erfolgen der finnischen Schüler ist man national und international auf der Suche nach den Faktoren, die eine Erklärung für das überdurchschnittlich gute Abschneiden Finnlands bieten könnten.

Viele finnische Kinder lesen aktiv, regelmäßig und vielseitig: Belletristik, Zeitungen, Zeitschriften, Comics und digitale Inhalte. Eine Studie im Auftrag des Zeitungsverbandes zeigte hinsichtlich der PISA-Ergebnisse von 2009 einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Punktestand beim PISA-Test und dem regelmäßigen Zeitungskonsum. Der Abstand zwischen den aktiven Lesern, die mehrfach in der Woche zur Zeitung greifen, und den passivsten Lesern betrug in Schuljahren gemessen fast 1,5 Jahre. Dabei beträgt der Anteil von Nicht-Zeitungslesern bei jungen Finnen lediglich 3 %, fast die Hälfte der Jugendlichen liest mehrfach wöchentlich in der Tageszeitung.

Beim Lesen geht es natürlich um Wichtigeres als um internationale Vergleichstests. Anu Laitila, die Leiterin von Lukukeskus (dt. Zentrum für das Lesen), schreibt in einem Artikel in der Zeitung Helsingin Sanomat vom 31.5.2012: „Die Fähigkeit Belletristik zu lesen und zu interpretieren ist kreatives Lesen. Es ist nicht in erster Linie ziel- oder zweckorientiert. Durch das kreative Lesen lernen wir, in Texten und in unserer Gesellschaft versteckte Zeichen, Sprachbilder, sprachliche Nuancen, Hinweise, Ironie und Mitgefühl zu deuten. Durch die kulturelle Lesefähigkeit können wir das implizite, stille Wissen unserer Gesellschaft verstehen.“

Lesen ohne Zweck und Zwang
Diverse Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit ohne Zweck und Zwang lesen. Lesen bringt Freude und bietet Zeitvertreib, Abwechslung und Entspannung. Dafür müssen sie in der Lage sein, den für sie richtigen Lesestoff zu finden. Dabei spielen Vorbilder eine wichtige Rolle. Aber als Aufgabe der Schule wird auch definiert, dass sie Kindern und Jugendlichen beibringen soll, den für sie interessanten Lesestoff zu finden, sie gleichzeitig aber dazu ermutigen soll, neue Genres kennen zu lernen.

Für die Finnisch- und Literaturlehrerin Susanne Issakainen aus Tampere ist dabei ein spannendes Thema das A und O: ”Viele Jungs lesen gern Wissenschafts- oder Spielemagazine, andere haben durch den Comic Fingerpori den Zugang zur Graphic Novel gefunden. Ich betone immer, dass es um Geschichten geht – bei Büchern sind diese Geschichten eben in geschriebener Form. Manche Kinder, denen Lesen schwer fällt, finden den Zugang zu Geschichten durch Hörbücher und lesen eine Kurzgeschichte, während andere einen ganzen Roman lesen. Es bringt aber nichts, die schwächeren Leser mit einem dicken Wälzer zu ‘erschrecken’, sie sollen ruhig etwas Leichteres lesen. Beim Eiskunstlaufen fängt man schließlich auch nicht mit einem Dreifachsprung an, wenn der Läufer noch nicht sicher rückwärts laufen kann.”

Wenn Kinder und Jugendliche lernen, dass Leseerlebnisse bedeutungsvoll sind, dass es durch sie gelingen kann zu verstehen, die Welt zu erfassen und Trost zu spenden, werden sie mit größter Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter Bücher lesen und ihren Kindern vorlesen.

Alltägliches Lesen
Lesen ist etwas für alle und für den Alltag: Eine Untersuchung von 2002 zeigte, dass ca. 70 % der Finnen ein Buch pro Monat lesen, wobei die jugendlichen Vielleser ein Vielfaches konsumieren. 2009 betrug die Lesezeit der Finnen im Durchschnitt 36 Minuten am Tag.

Damit die Lesekultur lebendig bleibt, braucht es Bücher und den Zugang zu ihnen und das wird in Finnland durch das flächendeckende Bibliothekssystem gewährleistet. Susanne Issakainen betont: „Wir schätzen das Lesen, es ist unser Hobby. Die Bibliotheken sind überlebenswichtig – unabhängig von der finanziellen Situation der Familie kann jeder so viel Lesestoff ausleihen, wie er möchte.“

2011 gab es im ganzen Land insgesamt 836 öffentliche Bibliotheken und 153 Bibliotheksbusse, in denen insgesamt 71 513 890 Bücher ausgeliehen wurden, etwas über 42 Millionen davon waren für Erwachsene. Das entspricht im Durchschnitt 18 Ausleihen pro Kopf pro Jahr. Die Anzahl der Bibliotheksbesuche betrug 53 Millionen, d.h. 10 Besuche pro Person.

Im Herbst 2014 wird Finnland Ehrengast der Frankfurter Buchmesse sein. Der Messeauftritt wird von einem vielfältigen Satellitenprogramm in der Schweiz, Deutschland und Österreich begleitet. Im Mittelpunkt dieser einmaligen Gelegenheit zur Sichtbarkeit der finnischen Kultur und Gesellschaft steht das Thema Lesen – das seit Generationen unsere Gesellschaft prägt und dies hoffentlich auch in der Zukunft tut.

 

Emma Aulanko
Kulturreferentin des Finnland-Instituts

 

Der Artikel erschien im FINNLAND Magazin der Schweizerischen Vereinigung der Freunde Finnlands SVFF im Juni 2013 (Nr. 89).Unsere Kulturreferentin Emma Aulanko schrieb für das Finnland Magazin der Schweizerischen Vereinigung Der Freunde Finnlands über das Thema Lesen in Finnland – wir freuen uns, den Artikel auch in unserem Blog zu veröffentlichen.

 

Auf Familienfotos begegnet mir meine Großmutter Hilkka beim Bootsausflug oder beim Zelten, zur Winterzeit in ihrem Lieblingssessel und im Hochsommer im Gartenstuhl immer in ein- und derselben Position: sitzend, mit leicht geneigtem Kopf und mit einem Buch in der Hand. Sie war eine leidenschaftliche Leserin und hat ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln die Liebe zu Büchern weitergegeben.

Der Glaube an das Lesen als Quelle von Bildung als Jedermannsrecht ist tief im finnischen Wertesystem verankert. Wissen wird in der finnischen Gesellschaft hoch geschätzt: selbst im Nationalepos Kalevala duellieren sich der alte weise Väinämöinen und der junge Streithahn Lemminkäinen mit Worten und Gesängen, nicht mit Waffen.

Lesen ist die Grundlage für das Lernen. Seit den PISA-Erfolgen der finnischen Schüler ist man national und international auf der Suche nach den Faktoren, die eine Erklärung für das überdurchschnittlich gute Abschneiden Finnlands bieten könnten.

Viele finnische Kinder lesen aktiv, regelmäßig und vielseitig: Belletristik, Zeitungen, Zeitschriften, Comics und digitale Inhalte. Eine Studie im Auftrag des Zeitungsverbandes zeigte hinsichtlich der PISA-Ergebnisse von 2009 einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Punktestand beim PISA-Test und dem regelmäßigen Zeitungskonsum. Der Abstand zwischen den aktiven Lesern, die mehrfach in der Woche zur Zeitung greifen, und den passivsten Lesern betrug in Schuljahren gemessen fast 1,5 Jahre. Dabei beträgt der Anteil von Nicht-Zeitungslesern bei jungen Finnen lediglich 3 %, fast die Hälfte der Jugendlichen liest mehrfach wöchentlich in der Tageszeitung.

Beim Lesen geht es natürlich um Wichtigeres als um internationale Vergleichstests. Anu Laitila, die Leiterin von Lukukeskus (dt. Zentrum für das Lesen), schreibt in einem Artikel in der Zeitung Helsingin Sanomat vom 31.5.2012: „Die Fähigkeit Belletristik zu lesen und zu interpretieren ist kreatives Lesen. Es ist nicht in erster Linie ziel- oder zweckorientiert. Durch das kreative Lesen lernen wir, in Texten und in unserer Gesellschaft versteckte Zeichen, Sprachbilder, sprachliche Nuancen, Hinweise, Ironie und Mitgefühl zu deuten. Durch die kulturelle Lesefähigkeit können wir das implizite, stille Wissen unserer Gesellschaft verstehen.“

Lesen ohne Zweck und Zwang
Diverse Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit ohne Zweck und Zwang lesen. Lesen bringt Freude und bietet Zeitvertreib, Abwechslung und Entspannung. Dafür müssen sie in der Lage sein, den für sie richtigen Lesestoff zu finden. Dabei spielen Vorbilder eine wichtige Rolle. Aber als Aufgabe der Schule wird auch definiert, dass sie Kindern und Jugendlichen beibringen soll, den für sie interessanten Lesestoff zu finden, sie gleichzeitig aber dazu ermutigen soll, neue Genres kennen zu lernen.

Für die Finnisch- und Literaturlehrerin Susanne Issakainen aus Tampere ist dabei ein spannendes Thema das A und O: ”Viele Jungs lesen gern Wissenschafts- oder Spielemagazine, andere haben durch den Comic Fingerpori den Zugang zur Graphic Novel gefunden. Ich betone immer, dass es um Geschichten geht – bei Büchern sind diese Geschichten eben in geschriebener Form. Manche Kinder, denen Lesen schwer fällt, finden den Zugang zu Geschichten durch Hörbücher und lesen eine Kurzgeschichte, während andere einen ganzen Roman lesen. Es bringt aber nichts, die schwächeren Leser mit einem dicken Wälzer zu ‘erschrecken’, sie sollen ruhig etwas Leichteres lesen. Beim Eiskunstlaufen fängt man schließlich auch nicht mit einem Dreifachsprung an, wenn der Läufer noch nicht sicher rückwärts laufen kann.”

Wenn Kinder und Jugendliche lernen, dass Leseerlebnisse bedeutungsvoll sind, dass es durch sie gelingen kann zu verstehen, die Welt zu erfassen und Trost zu spenden, werden sie mit größter Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter Bücher lesen und ihren Kindern vorlesen.

Alltägliches Lesen
Lesen ist etwas für alle und für den Alltag: Eine Untersuchung von 2002 zeigte, dass ca. 70 % der Finnen ein Buch pro Monat lesen, wobei die jugendlichen Vielleser ein Vielfaches konsumieren. 2009 betrug die Lesezeit der Finnen im Durchschnitt 36 Minuten am Tag.

Damit die Lesekultur lebendig bleibt, braucht es Bücher und den Zugang zu ihnen und das wird in Finnland durch das flächendeckende Bibliothekssystem gewährleistet. Susanne Issakainen betont: „Wir schätzen das Lesen, es ist unser Hobby. Die Bibliotheken sind überlebenswichtig – unabhängig von der finanziellen Situation der Familie kann jeder so viel Lesestoff ausleihen, wie er möchte.“

2011 gab es im ganzen Land insgesamt 836 öffentliche Bibliotheken und 153 Bibliotheksbusse, in denen insgesamt 71 513 890 Bücher ausgeliehen wurden, etwas über 42 Millionen davon waren für Erwachsene. Das entspricht im Durchschnitt 18 Ausleihen pro Kopf pro Jahr. Die Anzahl der Bibliotheksbesuche betrug 53 Millionen, d.h. 10 Besuche pro Person.

Im Herbst 2014 wird Finnland Ehrengast der Frankfurter Buchmesse sein. Der Messeauftritt wird von einem vielfältigen Satellitenprogramm in der Schweiz, Deutschland und Österreich begleitet. Im Mittelpunkt dieser einmaligen Gelegenheit zur Sichtbarkeit der finnischen Kultur und Gesellschaft steht das Thema Lesen – das seit Generationen unsere Gesellschaft prägt und dies hoffentlich auch in der Zukunft tut.

 

Emma Aulanko
Kulturreferentin des Finnland-Instituts

 

Der Artikel erschien im FINNLAND Magazin der Schweizerischen Vereinigung der Freunde Finnlands SVFF im Juni 2013 (Nr. 89).Unsere Kulturreferentin Emma Aulanko schrieb für das Finnland Magazin der Schweizerischen Vereinigung Der Freunde Finnlands über das Thema Lesen in Finnland – wir freuen uns, den Artikel auch in unserem Blog zu veröffentlichen.

 

Auf Familienfotos begegnet mir meine Großmutter Hilkka beim Bootsausflug oder beim Zelten, zur Winterzeit in ihrem Lieblingssessel und im Hochsommer im Gartenstuhl immer in ein- und derselben Position: sitzend, mit leicht geneigtem Kopf und mit einem Buch in der Hand. Sie war eine leidenschaftliche Leserin und hat ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln die Liebe zu Büchern weitergegeben.

Der Glaube an das Lesen als Quelle von Bildung als Jedermannsrecht ist tief im finnischen Wertesystem verankert. Wissen wird in der finnischen Gesellschaft hoch geschätzt: selbst im Nationalepos Kalevala duellieren sich der alte weise Väinämöinen und der junge Streithahn Lemminkäinen mit Worten und Gesängen, nicht mit Waffen.

Lesen ist die Grundlage für das Lernen. Seit den PISA-Erfolgen der finnischen Schüler ist man national und international auf der Suche nach den Faktoren, die eine Erklärung für das überdurchschnittlich gute Abschneiden Finnlands bieten könnten.

Viele finnische Kinder lesen aktiv, regelmäßig und vielseitig: Belletristik, Zeitungen, Zeitschriften, Comics und digitale Inhalte. Eine Studie im Auftrag des Zeitungsverbandes zeigte hinsichtlich der PISA-Ergebnisse von 2009 einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Punktestand beim PISA-Test und dem regelmäßigen Zeitungskonsum. Der Abstand zwischen den aktiven Lesern, die mehrfach in der Woche zur Zeitung greifen, und den passivsten Lesern betrug in Schuljahren gemessen fast 1,5 Jahre. Dabei beträgt der Anteil von Nicht-Zeitungslesern bei jungen Finnen lediglich 3 %, fast die Hälfte der Jugendlichen liest mehrfach wöchentlich in der Tageszeitung.

Beim Lesen geht es natürlich um Wichtigeres als um internationale Vergleichstests. Anu Laitila, die Leiterin von Lukukeskus (dt. Zentrum für das Lesen), schreibt in einem Artikel in der Zeitung Helsingin Sanomat vom 31.5.2012: „Die Fähigkeit Belletristik zu lesen und zu interpretieren ist kreatives Lesen. Es ist nicht in erster Linie ziel- oder zweckorientiert. Durch das kreative Lesen lernen wir, in Texten und in unserer Gesellschaft versteckte Zeichen, Sprachbilder, sprachliche Nuancen, Hinweise, Ironie und Mitgefühl zu deuten. Durch die kulturelle Lesefähigkeit können wir das implizite, stille Wissen unserer Gesellschaft verstehen.“

Lesen ohne Zweck und Zwang
Diverse Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit ohne Zweck und Zwang lesen. Lesen bringt Freude und bietet Zeitvertreib, Abwechslung und Entspannung. Dafür müssen sie in der Lage sein, den für sie richtigen Lesestoff zu finden. Dabei spielen Vorbilder eine wichtige Rolle. Aber als Aufgabe der Schule wird auch definiert, dass sie Kindern und Jugendlichen beibringen soll, den für sie interessanten Lesestoff zu finden, sie gleichzeitig aber dazu ermutigen soll, neue Genres kennen zu lernen.

Für die Finnisch- und Literaturlehrerin Susanne Issakainen aus Tampere ist dabei ein spannendes Thema das A und O: ”Viele Jungs lesen gern Wissenschafts- oder Spielemagazine, andere haben durch den Comic Fingerpori den Zugang zur Graphic Novel gefunden. Ich betone immer, dass es um Geschichten geht – bei Büchern sind diese Geschichten eben in geschriebener Form. Manche Kinder, denen Lesen schwer fällt, finden den Zugang zu Geschichten durch Hörbücher und lesen eine Kurzgeschichte, während andere einen ganzen Roman lesen. Es bringt aber nichts, die schwächeren Leser mit einem dicken Wälzer zu ‘erschrecken’, sie sollen ruhig etwas Leichteres lesen. Beim Eiskunstlaufen fängt man schließlich auch nicht mit einem Dreifachsprung an, wenn der Läufer noch nicht sicher rückwärts laufen kann.”

Wenn Kinder und Jugendliche lernen, dass Leseerlebnisse bedeutungsvoll sind, dass es durch sie gelingen kann zu verstehen, die Welt zu erfassen und Trost zu spenden, werden sie mit größter Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter Bücher lesen und ihren Kindern vorlesen.

Alltägliches Lesen
Lesen ist etwas für alle und für den Alltag: Eine Untersuchung von 2002 zeigte, dass ca. 70 % der Finnen ein Buch pro Monat lesen, wobei die jugendlichen Vielleser ein Vielfaches konsumieren. 2009 betrug die Lesezeit der Finnen im Durchschnitt 36 Minuten am Tag.

Damit die Lesekultur lebendig bleibt, braucht es Bücher und den Zugang zu ihnen und das wird in Finnland durch das flächendeckende Bibliothekssystem gewährleistet. Susanne Issakainen betont: „Wir schätzen das Lesen, es ist unser Hobby. Die Bibliotheken sind überlebenswichtig – unabhängig von der finanziellen Situation der Familie kann jeder so viel Lesestoff ausleihen, wie er möchte.“

2011 gab es im ganzen Land insgesamt 836 öffentliche Bibliotheken und 153 Bibliotheksbusse, in denen insgesamt 71 513 890 Bücher ausgeliehen wurden, etwas über 42 Millionen davon waren für Erwachsene. Das entspricht im Durchschnitt 18 Ausleihen pro Kopf pro Jahr. Die Anzahl der Bibliotheksbesuche betrug 53 Millionen, d.h. 10 Besuche pro Person.

Im Herbst 2014 wird Finnland Ehrengast der Frankfurter Buchmesse sein. Der Messeauftritt wird von einem vielfältigen Satellitenprogramm in der Schweiz, Deutschland und Österreich begleitet. Im Mittelpunkt dieser einmaligen Gelegenheit zur Sichtbarkeit der finnischen Kultur und Gesellschaft steht das Thema Lesen – das seit Generationen unsere Gesellschaft prägt und dies hoffentlich auch in der Zukunft tut.

 

Emma Aulanko
Kulturreferentin des Finnland-Instituts

 

Der Artikel erschien im FINNLAND Magazin der Schweizerischen Vereinigung der Freunde Finnlands SVFF im Juni 2013 (Nr. 89).Unsere Kulturreferentin Emma Aulanko schrieb für das Finnland Magazin der Schweizerischen Vereinigung Der Freunde Finnlands über das Thema Lesen in Finnland – wir freuen uns, den Artikel auch in unserem Blog zu veröffentlichen.

 

Auf Familienfotos begegnet mir meine Großmutter Hilkka beim Bootsausflug oder beim Zelten, zur Winterzeit in ihrem Lieblingssessel und im Hochsommer im Gartenstuhl immer in ein- und derselben Position: sitzend, mit leicht geneigtem Kopf und mit einem Buch in der Hand. Sie war eine leidenschaftliche Leserin und hat ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln die Liebe zu Büchern weitergegeben.

Der Glaube an das Lesen als Quelle von Bildung als Jedermannsrecht ist tief im finnischen Wertesystem verankert. Wissen wird in der finnischen Gesellschaft hoch geschätzt: selbst im Nationalepos Kalevala duellieren sich der alte weise Väinämöinen und der junge Streithahn Lemminkäinen mit Worten und Gesängen, nicht mit Waffen.

Lesen ist die Grundlage für das Lernen. Seit den PISA-Erfolgen der finnischen Schüler ist man national und international auf der Suche nach den Faktoren, die eine Erklärung für das überdurchschnittlich gute Abschneiden Finnlands bieten könnten.

Viele finnische Kinder lesen aktiv, regelmäßig und vielseitig: Belletristik, Zeitungen, Zeitschriften, Comics und digitale Inhalte. Eine Studie im Auftrag des Zeitungsverbandes zeigte hinsichtlich der PISA-Ergebnisse von 2009 einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Punktestand beim PISA-Test und dem regelmäßigen Zeitungskonsum. Der Abstand zwischen den aktiven Lesern, die mehrfach in der Woche zur Zeitung greifen, und den passivsten Lesern betrug in Schuljahren gemessen fast 1,5 Jahre. Dabei beträgt der Anteil von Nicht-Zeitungslesern bei jungen Finnen lediglich 3 %, fast die Hälfte der Jugendlichen liest mehrfach wöchentlich in der Tageszeitung.

Beim Lesen geht es natürlich um Wichtigeres als um internationale Vergleichstests. Anu Laitila, die Leiterin von Lukukeskus (dt. Zentrum für das Lesen), schreibt in einem Artikel in der Zeitung Helsingin Sanomat vom 31.5.2012: „Die Fähigkeit Belletristik zu lesen und zu interpretieren ist kreatives Lesen. Es ist nicht in erster Linie ziel- oder zweckorientiert. Durch das kreative Lesen lernen wir, in Texten und in unserer Gesellschaft versteckte Zeichen, Sprachbilder, sprachliche Nuancen, Hinweise, Ironie und Mitgefühl zu deuten. Durch die kulturelle Lesefähigkeit können wir das implizite, stille Wissen unserer Gesellschaft verstehen.“

Lesen ohne Zweck und Zwang
Diverse Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit ohne Zweck und Zwang lesen. Lesen bringt Freude und bietet Zeitvertreib, Abwechslung und Entspannung. Dafür müssen sie in der Lage sein, den für sie richtigen Lesestoff zu finden. Dabei spielen Vorbilder eine wichtige Rolle. Aber als Aufgabe der Schule wird auch definiert, dass sie Kindern und Jugendlichen beibringen soll, den für sie interessanten Lesestoff zu finden, sie gleichzeitig aber dazu ermutigen soll, neue Genres kennen zu lernen.

Für die Finnisch- und Literaturlehrerin Susanne Issakainen aus Tampere ist dabei ein spannendes Thema das A und O: ”Viele Jungs lesen gern Wissenschafts- oder Spielemagazine, andere haben durch den Comic Fingerpori den Zugang zur Graphic Novel gefunden. Ich betone immer, dass es um Geschichten geht – bei Büchern sind diese Geschichten eben in geschriebener Form. Manche Kinder, denen Lesen schwer fällt, finden den Zugang zu Geschichten durch Hörbücher und lesen eine Kurzgeschichte, während andere einen ganzen Roman lesen. Es bringt aber nichts, die schwächeren Leser mit einem dicken Wälzer zu ‘erschrecken’, sie sollen ruhig etwas Leichteres lesen. Beim Eiskunstlaufen fängt man schließlich auch nicht mit einem Dreifachsprung an, wenn der Läufer noch nicht sicher rückwärts laufen kann.”

Wenn Kinder und Jugendliche lernen, dass Leseerlebnisse bedeutungsvoll sind, dass es durch sie gelingen kann zu verstehen, die Welt zu erfassen und Trost zu spenden, werden sie mit größter Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter Bücher lesen und ihren Kindern vorlesen.

Alltägliches Lesen
Lesen ist etwas für alle und für den Alltag: Eine Untersuchung von 2002 zeigte, dass ca. 70 % der Finnen ein Buch pro Monat lesen, wobei die jugendlichen Vielleser ein Vielfaches konsumieren. 2009 betrug die Lesezeit der Finnen im Durchschnitt 36 Minuten am Tag.

Damit die Lesekultur lebendig bleibt, braucht es Bücher und den Zugang zu ihnen und das wird in Finnland durch das flächendeckende Bibliothekssystem gewährleistet. Susanne Issakainen betont: „Wir schätzen das Lesen, es ist unser Hobby. Die Bibliotheken sind überlebenswichtig – unabhängig von der finanziellen Situation der Familie kann jeder so viel Lesestoff ausleihen, wie er möchte.“

2011 gab es im ganzen Land insgesamt 836 öffentliche Bibliotheken und 153 Bibliotheksbusse, in denen insgesamt 71 513 890 Bücher ausgeliehen wurden, etwas über 42 Millionen davon waren für Erwachsene. Das entspricht im Durchschnitt 18 Ausleihen pro Kopf pro Jahr. Die Anzahl der Bibliotheksbesuche betrug 53 Millionen, d.h. 10 Besuche pro Person.

Im Herbst 2014 wird Finnland Ehrengast der Frankfurter Buchmesse sein. Der Messeauftritt wird von einem vielfältigen Satellitenprogramm in der Schweiz, Deutschland und Österreich begleitet. Im Mittelpunkt dieser einmaligen Gelegenheit zur Sichtbarkeit der finnischen Kultur und Gesellschaft steht das Thema Lesen – das seit Generationen unsere Gesellschaft prägt und dies hoffentlich auch in der Zukunft tut.

 

Emma Aulanko
Kulturreferentin des Finnland-Instituts

 

Der Artikel erschien im FINNLAND Magazin der Schweizerischen Vereinigung der Freunde Finnlands SVFF im Juni 2013 (Nr. 89).

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