„Kuratorisches Arbeiten bedeutet für mich stets auch eine gesellschaftliche Tätigkeit“
Dr. Mirjami Schuppert ist seit knapp einem Jahr Programmreferentin des Finnland-Instituts. Ihr Interesse für Internationales, für Kunst und Forschung brachte sie in die Welt des Instituts. Irina Ruusuvuori hat Mirjami Schuppert zum Interview getroffen.
„Den Dialog zwischen den Kulturen zu führen und aufrechtzuerhalten, halte ich für enorm wichtig. Eine Arbeit im internationalen Kontext, bei der ich von meinen bisherigen Kenntnissen, Netzwerken und Erfahrungen profitieren kann, kam mir wie ein natürlicher nächster Schritt vor“, meint Mirjami Schuppert.
Schuppert hat als Kuratorin sowohl freiberuflich als auch für Institutionen in Finnland, Deutschland und Nordirland gearbeitet. Zu den vielfältigen Projekten, die sie für Galerien, Museen und im öffentlichen Raum kuratiert hat, zählen Ausstellungen, Tagungen, Publikationen und die verschiedensten Veranstaltungen. An der Universität Turku in Finnland hat Schuppert in Kulturgeschichte ihren Bachelor und Master gemacht; promoviert hat sie an der Universität Ulster in Belfast/Nordirland zum Thema Kuratieren.
„Ich verfolge die Arbeit von Kulturinstituten weltweit schon seit Jahren und finde ihre Rolle beim Initiieren und Aufrechterhalten des Dialogs zwischen den Kulturen sehr wichtig“, so Schuppert.
Zu Schupperts früheren Tätigkeiten zählt die Geschäftsführung der vom Künstlerverein Arte e. V. getragenen Galerie Titanik in Turku. Die Arbeit in dieser von Künstler*innen geführten Galerie hat sie geprägt, und heute ist sie eine selbstbewusste Expertin auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst. Ihre Arbeit basiert auf aufmerksamem und vielgestaltigem Dialog, in dem Diversität und die Stimme des Künstlers bzw. der Künstlerin im Fokus stehen.
„Die Tätigkeit bei Titanik verschaffte mir einen guten Überblick über die Szene der finnischen Gegenwartskunst, und auf dieser Grundlage konnte ich auch ein dichtes Netzwerk an Kontakten knüpfen. Durch die Zeit bei Titanik bin ich mir der Möglichkeiten bewusster geworden, Projekte und Veranstaltungen zu kuratieren und durchzuführen, die sozusagen niederschwellig und allen leicht zugänglich sind. Und auch mit der Tonkunst wurde ich aufgrund der hochwertigen Tonkunst-Residenz der Galerie vertraut“, meint Mirjami Schuppert.
Im Finnland-Institut ist Mirjami Schuppert für das Kultur- wie auch das wissenschaftliche Programm zuständig. Ihre kuratorische Doktorarbeit war für sie ein Instrument, um die Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft hervorzuheben. Außerdem verfügt Schuppert über internationale Erfahrung als Dozentin in Universitäten und Fachhochschulen.
„Wir sollten unsere Auffassung davon, was Wissen eigentlich ist, hinterfragen. Kunst zu schaffen heißt Wissen zu schaffen, und Kunst ist gleichzeitig auch Forschung. Ich möchte den Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft und auch deren Verbindung fördern“, so Schuppert.
Mirjami Schuppert arbeitet stets von einer feministischen, kritischen und reflektierenden Perspektive aus, wodurch sie „das Unsichtbare sichtbar machen“ möchte. Sie möchte sich entschieden für ein Programm einsetzen, in dem Inklusion und gesellschaftliche Fragestellungen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Schon in der Galerie Titanik hatte sie sich aktiv dafür eingesetzt, POC-Künstler*innen [POC = people of colour; die Red.] und ihre Kunst in der finnischen Kunstszene sichtbarer zu machen. Auch durch den 2021 zusammen mit der in Berlin ansässigen Galerie SAVVY Contemporary ins Leben gerufenen Kunstpreis Wi Di Mimba Wi strebt sie danach, POC-Künstler*innen Ausstellungsmöglichkeiten zu schaffen.
„Ich möchte dafür sorgen, dass das Finnland-Institut ein vielseitiges, qualitativ hochwertiges Programm bietet, und gleichzeitig bereit sein, Risiken einzugehen und mit Künstler*innen zusammenarbeiten, die sich noch keinen Namen gemacht haben und erst am Anfang ihrer Laufbahn stehen.“
Im Idealfall sollte das Programm des Instituts leicht zugänglich sein, in gesellschaftlichen Fragen Stellung nehmen und den Status Quo immer wieder in Frage stellen. Zwar könne es nach wie vor fruchtbar sein, mit großen kommerziellen Akteuren zusammenzuarbeiten, schätzt Schuppert die Lage ein. Es sei jedoch an der Zeit, sich für die langfristige Zusammenarbeit mit kleineren Kooperationspartnern einzusetzen und mit ihnen aktiv zu diskutieren, was in dem jeweiligen Tätigkeitsbereich tatsächlich relevant ist.
„Es ist außerordentlich wichtig, sich bewusst zu sein, welcher Diskurs in Europa gegenwärtig in Kultur und Wissenschaft geführt wird – und sich kritisch, aber auch als fördernder und mitfühlender Partner an diesem Gespräch zu beteiligen“, stellt Schuppert fest. „Die Arbeit des Instituts sollte immer gesellschaftlich bedeutsam und interessant für das breite Publikum sein. Vom Besuch eines Künstlerateliers bis hin zu einem feministischen Handarbeitskreis ist alles möglich! In Zukunft möchte ich mehr ortsgebundene Kunst sehen, bei der auch das Umfeld und dessen Geschichte einen Teil des Werkes ausmachen.“
Mit ortsgebundener Kunst ist Kunst gemeint, die für einen bestimmten Ort geschaffen wurde und zu ihrer Umgebung eine kritische Rolle einnimmt.
„Vor 50 Jahren noch betrachtete man ortsgebundene Kunst als etwas, das einzig im Verhältnis zur jeweiligen physischen Umgebung entsteht. Doch später schenkte man den verschiedenen Dimensionen des Raums immer mehr Aufmerksamkeit, etwa dem sozialen Raum in all seinen Facetten. Wird ein Kunstwerk im öffentlichen Raum geschaffen, kann die negative Ansicht entstehen, dass das Werk in einen bestimmten Ort und damit auch in den Lebensraum von dessen Bewohner*innen eindringt. Ortsgebundene Projekte sind auch dadurch herausfordernd und faszinierend, dass es so viele Faktoren gibt, die man nicht kontrollieren kann. Es müssen so viele Kontexte berücksichtigt werden wie etwa geschichtliche, politische und auch der Umstand, dass sich das Kunstwerk mitten in einer Gemeinschaft befindet, als Teil eines Lebensumfeldes. Das Potenzial ortsgebundener Kunst besteht gleichzeitig darin, dass sie nie von ihrem Umfeld losgelöst ist und dass alle, die sie anschauen bzw. hören, sie unterschiedlich, aus dem eigenen Kontext heraus, erleben können“, meint Schuppert.
Laut Schuppert könnte die Zusammenarbeit mit etwas weniger bekannten Akteur*innen und die ortsgebundene Kunst an sich hervorragende Möglichkeiten sein, das Programm des Finnland-Instituts noch vielseitiger und vielschichtiger zu gestalten. Persönlich setzt sie sich dafür ein, dass die Arbeit des Finnland-Instituts stets herausfordernd und innovativ sein soll: Sowohl das wissenschaftliche als auch das Kulturprogramm sollen Finnland in seiner Vielseitigkeit darstellen und einen kritischen Austausch zwischen Finnland und dem deutschsprachigen Europa schaffen.
„Kuratorisches Arbeiten bedeutet für mich stets auch eine gesellschaftliche Tätigkeit“, so Schuppert.
Mirjami Schuppert lebt zusammen mit ihrer Familie in Potsdam und genießt dort die Ruhe außerhalb Berlins. Gleichzeitig liebt sie Berlin jedoch aufgrund der – beruflich wie kulturell – schier endlos vielen sich bietenden Möglichkeiten.
Übersetzung aus dem Finnischen: Suvi Wartiovaara