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Aleida Lujan Pinelo, Foto/kuva: Javier Gerber

Femi(ni)zid – ein Phänomen, so „alt wie das Patriarchat selbst”

Aleida Luján Pinelo setzt sich schon seit Jahren wissenschaftlich mit dem Phänomen des Femi(ni)zids – des Frauenmordes – auseinander, besonders mit der Lage in Deutschland. Neben ihrer Forschungstätigkeit ist die Wissenschaftlerin auch Mitbegründerin der „Feminizidmap“: einer Datenbank, welche alle Femi(ni)zide und Tötungsdelikte an Frauen sowie Mädchen in Deutschland dokumentiert. Luján Pinelos Interesse an Deutschland beruht auf persönlichen Erfahrungen, insbesondere der Erkenntnis, dass das Thema dort immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit generiert. Als Expertin hat sie Fragen aus dem Team des Finnland-Instituts zum Thema Femi(ni)zid in ihrem Blogbeitrag verarbeitet.

Die vergangenen fünf Jahre habe ich damit verbracht, im Rahmen meiner Dissertation das Phänomen des Femi(ni)zids in Deutschland zu erforschen. Nebenbei habe ich ein unabhängiges Forschungsprojekt, die Feminizidmap, mitbegründet, um Femi(ni)zide in Deutschland zu dokumentieren. In diesem Zeitraum habe ich mitbekommen, wie das Thema Femi(ni)zid in Deutschland in akademischen, juristischen und aktivistischen sowie politischen Kreisen an Fahrt aufnimmt. Trotz alledem hängen in einer Gesellschaft, die erst seit kurzem Interesse an diesem Thema zeigt, noch viele Fragen in der Luft. Um dies konkret zu testen, habe ich die Mitarbeiter*innen des Finnland-Instituts darum gebeten, mir mögliche Fragen zum Thema Femi(ni)zid und meiner Forschung zu stellen. Jene Fragen habe ich dann als Grundlage für diesen Text genutzt. Es würde mich freuen, wenn auch die Leser*innen dieses Blogs meine Antworten als interessant empfinden und sich vielleicht sogar zur weiteren Beschäftigung mit der Thematik motivieren lassen.

„Geschlechtsspezifische Gewalt“ und „Gewalt gegen Frauen“ sind Sammelbegriffe, mit denen viele Formen patriarchaler Gewalt beschrieben werden. Ihre Definitionen haben sich über die Jahre gewandelt: Manchmal werden sie austauschbar verwendet, manchmal in unterschiedlicher Weise, je nach Forschungsgebiet oder Aktivismusbewegung. Trotzdem umfassen diese beiden Begriffe mehrere Formen von Gewalt, so auch unter anderem den Femi(ni)zid, der zumeist als die ultimative, extremste Form patriarchaler Gewalt betrachtet wird.[1] Aber was versteht man überhaupt unter Femi(ni)zid?

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da viele verschiedene Definitionen für diesen Begriff existieren. Allgemein wird Femi(ni)zid jedoch verstanden als „Tötung von Frauen durch Männer, weil es sich um Frauen handelt”.[2] Es ist dabei von enormer Wichtigkeit, dass Femi(ni)zid nicht bloß die „weibliche“ Version von Homozid bezeichnet, und es sich deswegen nicht bei jeder Tötung einer Frau um einen Femi(ni)zid handelt. Wenn es zum Beispiel während eines Banküberfalls zu einer Schießerei kommt und es unter den Opfern auch Frauen gibt, kann hier auf den ersten Blick kaum gesagt werden, ob es sich um einen Femi(ni)zid handelt, denn die Eigenschaften der Opfer sind prinzipiell irrelevant für den Aggressor oder die Aggressorin. In meiner Verwendung des Begriffs Femi(ni)zid habe ich mich dafür entschieden, das Konzept so einzuschränken, dass es sich auf solche Tötungen von Frauen* und Mädchen* bezieht, die sich innerhalb der patriarchalen Apparatur oder geschlechtsbezogener Machtstrukturen ereignen.[3]

Die Frage zur Definition des Femi(ni)zids ist aber auch mit weiteren Fragen verbunden, so zum Beispiel mit der Frage, ob es einen Unterschied zwischen „Femizid“ und „Feminizid“ gibt? Wenn ja, worin besteht dieser Unterschied? Und warum verwende ich als Forscherin den Begriff „Femi(ni)zid“? Die feministische Verwendung von „Femizid“ wurde zuerst in den 70er-Jahren von Diana Russell im englischsprachigen Kontext eingeführt, während der Begriff „Feminizid“ – von Russell beeinflusst – in den späten 90er-Jahren von Marcela Lagarde im spanischsprachigen Kontext entstand. In der Forschung werden „Femizid“ und „Feminizid“ oft synonym verwendet, welches durch die Verwendung der Form „Femizid/Feminizid“ gekennzeichnet wird. In manchen Fällen verweist „Femizid“ auf den englischsprachigen Begriff, „Feminizid“ wiederum auf dessen spanischsprachige Übersetzung. In einem anderen Kontext wiederum kann die Verwendung von „Feminizid“ auf Fälle beschränkt werden, in denen eine Bestrafung von staatlicher Seite vorenthalten wurde. Ich argumentiere somit, dass „Feminizid“ weder die durch das Spanische geprägte Variante des Begriffs „Femizid“ ist, noch, dass „femicide/Femizid“ der einzige „korrekte“ Begriff auf Englisch ist. Mein Vorschlag ist die Formulierung „Femi(ni)zid“, um einerseits Narrative zu vermeiden, die Hierarchien zwischen Begriffen aufrechterhalten, und weil ich durch die Verwendung Menschen zu einem informierten und engagierten Gespräch anregen möchte.[4] Jede Person sollte aber natürlich den Begriff verwenden, der in ihren Augen am besten passt. Es gibt weder im Englischen noch im Deutschen, noch in irgendeiner anderen Sprache einen eindeutig korrekten Begriff.

Das Phänomen des Femi(ni)zids gibt es schon lange – es ist so „alt wie das Patriarchat selbst”[5]. Allerdings wurde es nicht immer als eine Form von Gewalt und Grausamkeit angesehen. Dagegen ist das Konzept des Femi(ni)zids relativ neu. Solche Akte als Straftaten zu benennen war allerdings essenziell, um diese Grausamkeiten sichtbar zu machen und Strategien zu deren zukünftiger Vermeidung entwickeln zu können. Femi(ni)zide ereignen sich in jeder Gesellschaft, nehmen aber jeweils unterschiedliche Erscheinungsformen an.[6] Obwohl sich die meisten Femi(ni)zide in häuslichen Umgebungen und vor allem durch Partner oder Ex-Partner ereignen – ein so genannter intimer Femi(ni)zid –, gibt es auch andere Formen des Femi(ni)zids, die nicht übersehen werden sollten. Dazu gehören beispielsweise Femi(ni)zide in einer Familie, der Femi(ni)zid eines Kindes, lesbophobe, transphobe, rassistische sowie durch eine irgendwie geartete Verbindung, durch Prostitution/Sexarbeit oder Genitalverstümmelung verursachte Femi(ni)zide.[7] Wie bei jeder anderen Klassifizierung sind diese Formen weder festgelegt noch frei von Komplexität. Sie sind allerdings nützlich dafür, Mechanismen und Eigenschaften auszumachen. Dies hilft dabei zu verstehen, warum es zu Femi(ni)ziden kommt, und dient somit auch dazu, Strategien dagegen zu entwickeln.

Mein Interesse an der Recherche von Femi(ni)zid in Deutschland beruht auf meinen persönlichen Erfahrungen. Als ich in Deutschland wohnte, erfuhr ich von einigen Fällen, die ich als Femi(ni)zid identifizierte, obwohl sie sonst nicht so wahrgenommen wurden. Dabei bekam ich mit, dass sie in den Medien als Fälle hervorgehoben wurden, bei denen der „kulturelle Hintergrund“ der Täter oder der Opfer nicht europäisch war. Mein Interesse an Deutschland verstärkte sich auch durch eine Aussage, auf die ich 2014 gestoßen war und welcher ich überhaupt nicht zustimmte: Deutschland äußerte sich dem Büro der Vereinten Nationen für Suchtstoff- und Verbrechensbekämpfung gegenüber und behauptete, dass „Feminizid“ ein Phänomen sei, das auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland nicht vorkomme.[8] Die Weigerung der Regierung, die Existenz des Problems anzuerkennen, der Mangel an vorhandenen Daten sowie das Fehlen vom sozialem Bewusstsein und Aktivismus regten mich dazu an, ein Forschungsprojekt spezifisch zu Deutschland zu entwickeln. Dieser Wunsch nahm 2018 mit dem Beginn meiner Promotion an der juristischen Fakultät in Turku endlich Gestalt an.

Meine Motivation, die Situation in Deutschland aus einer kritischen Perspektive zu erforschen, entspringt einem persönlichen Interesse, der Komplexität des Phänomens Femi(ni)zid gerecht zu werden und rassistische sowie fremdenfeindliche Diskurse über das Thema zu vermeiden. In Deutschland bin ich die „Fremde” – in dem Fall, dass ich getötet werden würde, könnte dies auf meine „lateinamerikanische Herkunft“ zurückgeführt werden; bei dem Versuch, meine Tötung zu ergründen, kann ich rassistischen und fremdenfeindlichen Diskursen unterworfen werden.[9] Eine andere treibende Kraft war die Anerkennung der sensationellen, in Amerika seit dem Beginn des Jahrtausends entwickelten Arbeit zum Femi(ni)zid. Mein Interesse bestand darin, dieses Wissen ebenfalls in den Mittelpunkt der Diskussionen in Europa zu positionieren. Ich halte es für wichtig, die Aufrechterhaltung von Nord-Süd-Hierarchien bei der Wissensproduktion zu vermeiden.

Allein die Tatsache, dass die Diskussion über Femi(ni)zid in Deutschland begonnen hat, führte bereits zu mehreren positiven Veränderungen: Aus gesellschaftlichem Blickwinkel ist dies beispielsweise die Gründung von Aktivist*innengruppen und -projekten; in juristischen und politischen Kreisen sind Debatten über die Relevanz der Verwendung dieses Begriffs entstanden und im akademischen Bereich begannen immer mehr Forschungsprojekte speziell zum Femi(ni)zid in Deutschland. Die Tatsache, dass das Thema Femi(ni)zid Aufmerksamkeit auf sich zieht, kann bereits als äußerst bedeutende positive Veränderung gelten. Hoffentlich öffnet sich dadurch eine Tür, die zur Entwicklung neuer effektiver Strategien führt und die Auseinandersetzung mit diesem komplexen Thema weiter fördert.

 

Übersetzung aus dem Englischen: Pauliina Ojanen, bearbeitet von Hanna Assiep und Venla Eilenberger

 

[1] Radford, Jill. “Introduction.” In Femicide: The Politics of Woman Killing, bearbeitet von Jill Radford und Diana Russell, 4. Buckingham: Open University Press, 1992.

[2] Diana Russell. “Preface.” In Femicide: The Politics of Woman Killing, bearbeitet von Jill Radford und Diana Russell, xiv. Buckingham: Open University Press, 1992.

[3] Luján Pinelo, Aleida. 2018. “A Theoretical Approach to the Concept of Femi(ni)cide.” Philosophical Journal of Conflict and Violence 2, no. 1 (2018): 61.

[4] Luján Pinelo, “A Theoretical Approach,” 45.

[5] Radford, “Introduction,” 25.

[6] Radford, “Introduction,” 7.

[7] Atencio, Graciela, and Elena Laporta. “Types of Feminicide or Variants of Extreme Patriarcal Violence.” Feminicidio.net, 15. Oktober, 2012. https://feminicidio.net/types-of-feminicide-or-variants-of-extreme-patriarcal-violence/.

[8] UNODC (United Nations Office on Drugs and Crime). Statement by Germany on the Investigation and Prosecution of Gender-Related Killings of Women and Girls. 2014. Zuletzt aufgerufen am 22. Juli 2022. https://www.unodc.org/documents/justice-and-prison-reform/IEGM_GRK_BKK/Germany_Annex.pdf.

[9]  Normalerweise empfehle ich den Film Naomis Reise von Frieder Schlaichs.

Aleida Luján Pinelo ist Postdoktorandin an der Rechtwissenschaftlichen Fakultät der Universität Turku und war 2023 Öhmann-Stipendiatin am Finnland-Institut. Aus Mexiko stammend, führte ihre wissenschaftliche Laufbahn sie u.a. auch nach Berlin, Granada, Louisville, Mexico City und Utrecht. In Turku erhielt sie mit ihrer Dissertation „Extreme forms of violence against women in Europe. Femi(ni)cide in Germany” den Doktorgrad.

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