Es lebe die freie Szene!
Essi Kalima ist seit mehr als zehn Jahren als Kulturreferentin tätig: Ende November 2019 endet turnusgemäß ihre Arbeit am Finnland-Institut; zuvor war sie von 2008−2011 Kulturreferentin der Botschaft von Finnland in Berlin. Ab Dezember 2019 wird sie beim Outset Contemporary Art Fund in Berlin tätig sein: ein wichtiger Lebensabschnitt endet, aber der Weg in der Kunstbranche setzt sich fort. In ihrem Blogbeitrag fasst Essi Kalima ihre Erfahrungen anhand des Fallbeispiels „SZENEfrei“ zusammen, das die zentrale Aufgabe als Kulturreferentin deutlich macht: Künstler_innen und ihr Schaffen zu fördern.
Wann werden eine zarte Idee, ein erster Gedanke oder eine Anfangsbegeisterung zu einem wirklichen Projekt? „Genau das hier ist wichtig, das muss unbedingt verwirklicht werden!“ Wir am Finnland-Institut ermöglichen jährlich etwa 150 Projekte oder einzelne Veranstaltungen, so dass die Frage nach dem Entscheidungsprozess nicht unwichtig ist. Die Entwicklung der dreijährigen Förderinitiative SZENEfrei zeigt Antworten auf.
SZENEfrei wurde 2017 mit dem finnischen Gastland-Beitrag zum Berlin Circus Festival angestoßen, der für alle Partner überzeugend war. Also entschieden wir uns, die gesamte freie Szene von zeitgenössischem Circus, Tanz und Performance aus Finnland im deutschsprachigen Raum zu unterstützen. Dazu taten wir uns mit Circus Info Finland, Dance Info Finland, ESKUS Performance Center sowie später auch mit Theatre Info Finland als Partnerinstitutionen zusammen.
In Finnland gibt es zurzeit ca. 1.400 Akteure in der freien Szene von Circus, Tanz und Performance. Die Entfaltungskraft dieser Szene wird durch fehlende Finanzierung immer noch eingeschränkt. Besonders schwierig ist es, Unterstützung für internationale Aufführungen zu bekommen. Mit dem dreijährigen Förderprogramm SZENEfrei zur Stärkung dieser Branchen wurden von 2017 bis 2019 ermöglicht:
• 197 Aufführungen im deutschsprachigen Europa unter Beteiligung von 208 Künstler_innen
• 24 Expertenbesuche und Networking-Events
• Veröffentlichung des SZENEfrei-Handbuchs (in finnischer Sprache; 6,5 MB)
• SZENEfrei Open Call 2017
Dieses Engagement war im Kulturprogramm des Finnland-Instituts drei Jahre lang präsent; durch SZENEfrei gelang es, einer großen Zahl von Künstler_innen neue Möglichkeiten im deutschsprachigen Raum zu eröffnen. Wie konnte ein Künstler ins SZENEfrei-Programm einsteigen oder davon profitieren? Ausgezeichnete Künstler gibt es viele und der Entscheidungsprozess ist immer auch schmerzhaft, da nicht alle eine Förderung bekommen können. Für SZENEfrei haben wir eng mit den Partnern vor Ort kooperiert, die jeweils ihr eigenes Programm kuratierten. Sie wählten auch die einzelnen Aufführungen aus, die schließlich realisiert wurden.
SZENEfrei wurde mit einem Zuschuss der Kone-Stiftung und der Basisfinanzierung des Finnland-Instituts verwirklicht. Die lokalen Partner übernahmen mindestens 50% der Produktionskosten und stellten Eigenleistungen, die als In kind-Kosten berechnet werden können. Die Networking-Events, der Open Call und das SZENEfrei-Handbuch standen allen interessierten Künstler_innen zur Verfügung.
Zahlreiche SZENEfrei-Projekte haben zu langfristigen Kooperationen oder weiteren Aufführungen an anderen Orten geführt. Das hervorragende von Simo Vassinen editierte SZENEfrei-Handbuch ist immer noch aktuell. Der Open Call für SZENEfrei gezeigt, dass besonders die freie Szene eine flexible Mobilitätsunterstützung benötigt. 2018 ist das Finnland-Institut in Deutschland in das Förderprogramm TelepART Mobility Support mit eingestiegen, welches zusammen mit anderen Finnland-Instituten weltweit koordiniert wird und die Akteure der freien Szene inzwischen ebenfalls gut erreicht hat.
SZENEfrei ist aus Überzeugung von der Kunst heraus enstanden, die ausschließlich in der freien Szene geschaffen wird. Vor allem ermöglichte es eine breitgefächerte Unterstützung für Künstler, was ohne diese Initiative nicht möglich gewesen wäre. Ein langfristiges Engagement ist oft wirkungsvoller, und SZENEfrei wird auch über 2019 hinaus im Kulturprogramm des Finnland-Instituts spürbar bleiben. Nachhaltige Wirkung kann man jedoch nicht allein mit Hilfe einzelner Förderprogramme erreichen. Statt auf langfristige Strukturveränderungen in der Kulturfinanzierung zu warten, können Programme wie SZENEfrei die wichtige Aufgabe erfüllen, die freie Szene zu stärken und zu vernetzen. Dadurch können die betreffenden Künstler_innen an internationalen Projekten teilnehmen, Erfahrungen austauschen und ihre eigenen Netzwerke aufbauen.
Es war großartig, bunt und abenteuerlich diese Arbeit machen zu dürfen. Die Freiheit der Kunst erhält auch die Freiheit der Gedanken und hält eine Zivilisation neugierig, flexibel und vielfältig. Unsere „Kunst“ am Finnland-Institut ist es, Zeit, Raum und Verbindungen dafür zu schaffen.