Alltägliches und Fantastisches bei den Kinder- und Jugendbuchwochen in Köln
Die deutsch-finnischen Literaturbeziehungen haben eine lange Tradition aufzuweisen. In dieser Tradition nimmt die Kinder- und Jugendliteratur eine wichtige Rolle ein, da viele der ersten finnischen Kinder- und Jugendbücher Übersetzungen aus dem Deutschen waren. Zuerst handelte es sich vor allem um Bücher zur religiösen Erziehung, Belehrung und Erbauung, aber schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen auch Erzählungen, die für Kinder und Jugendliche geschrieben waren. Großer Beliebtheit in Finnland erfreuten sich auch einige der moralisch-didaktischen Erzählungen Christoph von Schmids, eines katholischen Geistlichen, der 1768 im süddeutschen Dinkelsbühl geboren wurde und sich einen Namen als einer der erfolgreichsten Jugendschriftsteller seiner Zeit gemacht hat.
Seine Erzählung Wie Heinrich von Eichenfels zur Erkenntnis Gottes kam von 1817 erschien 1836 auf Finnisch und ist somit eine der ersten ins Finnische übersetzten Erzählungen für Kinder und Jugendliche überhaupt. Heinrich von Eichenfels – auf Finnisch zuerst Heikki Jäykkänen, später Heikki Tamminen – war “ein zartes, wunderschönes Knäblein”, das seine Eltern “unaussprechlich liebten”. Aber eines Tages wurde er heimtückisch geraubt, und so musste “das holde Knäblein” jahrelang in einer “schauerlichen Höhle” verbringen. Ohne hier mehr über die Handlung zu verraten, sei nur vorausgeschickt, dass die Geschichte ein Happy End hat: das Gute wird belohnt, das Böse bestraft.
Schon 1810 hatte Christoph von Schmid die alte Sage von Genovefa von Brabant neu erzählt und veröffentlicht unter dem Titel Genovefa. Eine der schönsten und rührendsten Geschichten des Alterthums, neu erzählt für alle guten Menschen, besonders für Mütter und ihre Kinder. Durch Schmids Erzählung fand diese Sage eine weite Verbreitung und große Bekanntheit überall in Europa – auch in Finnland, wo sie 1847 in der finnischen Übersetzung von Antti Räty unter dem Namen Genoveva, tahi Kertomus yhen jumalisen rouan wiattomasta kärsimisestä erschien. Genoveva war “als erwachsene Jungfrau […] das Bild der Unschuld und Schönheit, und alle frommen Mütter stellten das Fräulein – denn so nannte man damals noch die herzoglichen Prinzeßinnen – ihren Kindern als ein Beyspiel der Frömmigkeit, der Eingezogenheit, der Sittsamkeit, des Fleißes, der Sanftheit, und jeder weiblichen Tugend vor”. Diese Genoveva war in Finnland unglaublich beliebt: bis Ende des 19. Jahrhundert hatte die Erzählung schon die 10. Auflage mit einer Gesamtauflage von 12 000 Exemplaren erreicht (zum Vergleich: die Erstauflage von Aleksis Kivis Seitsemän veljestä 1870 betrug 500 Exemplare). Zehn Jahre nach der ersten finnischen Genoveva-Ausgabe erschien auch Schmids Erzählung Der Kanarienvogel (1821) auf Finnisch mit dem Titel Sirkkuinen: siweydellinen kertomus kansalle (1857). Diese edel-tugendhafte deutsche Tradition brach aber schon 1869 ab, als die erste finnische Übersetzung des Struwwelpeters erschien.
Die ersten deutschen Übersetzungen finnischer Kinder- und Jugendliteratur ließen noch eine ganze Weile auf sich warten, denn abgesehen von einer kleinen Anzahl moralisch-didaktischer Erbauungsliteratur gab es bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch kaum finnischsprachige Kinder- und Jugendbücher. Die Situation änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Zachris Topelius (1818–1898), der die finnische Kinderliteratur auf ein internationales Niveau brachte. So ist es nicht überraschend, dass die wohl ersten deutschen Übersetzungen finnischer Kinderliteratur zwei Sammlungen seiner Märchen waren, nämlich Finnländische Märchen und Neue finnländische Märchen, beide 1924 erschienen.
Das erste oder zumindest eines der ersten finnischen Jugendbücher auf dem deutschen Buchmarkt scheint nach Angaben der Übersetzungsdatenbank von FILI Anelma Vuorios Die Karas (1944) zu sein; das Original erschien 1940 unter dem Namen Vapaus ‘Freiheit’ – ein Buch, das man auch getrost ignorieren kann. In den 1950er Jahren erschienen die ersten Mumin-Bücher in deutscher Übersetzung sowie die ersten finnischen Mädchenbücher. Im Jahr 1958 standen sogar zwei finnische Jugend- bzw. Mädchenbücher auf der Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises: Annikki Setäläs Irja tauscht Rentiere (1957, Orig. Karhunkierros 1956) und Aili Konttinens Geh nicht fort, Inkeri! (1957, Orig. Inkeri palasi Ruotsista 1947). In den nächsten 50 Jahren kamen insgesamt nur sieben finnische Kinder- oder Jugendbücher auf diese Liste (Angabe ohne Gewähr!), aber im Jahr 2011 fand man dort wieder etwas Finnisches: Aino Havukainen und Sami Toivonens Tatu und Patu und ihre verrückten Maschinen (2012, Orig. Tatun ja Patun oudot kojeet 2005).
Nach dem etwas zögerlichen Anfang ist die Zahl der deutschen Übersetzungen finnischer Kinder- und Jugendbücher schnell gestiegen. Auch das Angebot in der Auswahl der Themen und der Genres ist sehr vielseitig geworden: von Bilderbüchern für Kleinkinder über Buchreihen für jugendliche Leseratten bis hin zu Comic-Büchern, Fantasy und Thriller für Jugendliche.
Die diesjährigen Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen der SK Stiftung Kultur in Köln stehen ganz im Zeichen Finnlands. In den ersten drei Juniwochen halten 13 finnische Kinderbuchautorinnen, begleitet von Kölner Fennistik-Studierenden, zahlreiche Lesungen in Kölner Schulen und Bibliotheken. Zum Rahmenprogramm gehören Figurentheater- und Filmvorführungen sowie eine wissenschaftliche Tagung über “Aktuelle Perspektiven auf Kinder- und Jugendliteraturen aus Finnland”, die vom Institut für Skandinavistik/Fennistik der Universität zu Köln und der Abteilung für skandinavische Sprachen und Literaturen der Universität Bonn veranstaltet wird.
Das Programm der Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen ist einfach fantastisch und in dem Sinne auch alltäglich, als das Programm in den kommenden drei Wochen für (fast) jeden Tag etwas anbietet. Somit bildet die Ausstellung “Alltäglich fantastisch: Kindergeschichten aus Finnland!” einen wunderbaren Rahmen für die diesjährigen Buchwochen. Viel Vergnügen und viel Spaß beim Entdecken der finnischen Kindergeschichten!
Internationale Kinder- und Jugendbuchwochen in Köln 31. Mai – 22. Juni 2014
Marja Järventausta ist Professorin für Fennistik am Institut für Skandinavistik/Fennistik der Universität zu Köln und Vorstandsmitglied der Deutsch-Finnischen Gesellschaft in Köln e.V.
Überarbeitete Version des Grußworts zur Eröffnung der Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen sowie der Ausstellung “Alltäglich fantastisch: Kindergeschichten aus Finnland!” am 31.5. im Alten Pfandhaus in Köln
Die deutsch-finnischen Literaturbeziehungen haben eine lange Tradition aufzuweisen. In dieser Tradition nimmt die Kinder- und Jugendliteratur eine wichtige Rolle ein, da viele der ersten finnischen Kinder- und Jugendbücher Übersetzungen aus dem Deutschen waren. Zuerst handelte es sich vor allem um Bücher zur religiösen Erziehung, Belehrung und Erbauung, aber schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen auch Erzählungen, die für Kinder und Jugendliche geschrieben waren. Großer Beliebtheit in Finnland erfreuten sich auch einige der moralisch-didaktischen Erzählungen Christoph von Schmids, eines katholischen Geistlichen, der 1768 im süddeutschen Dinkelsbühl geboren wurde und sich einen Namen als einer der erfolgreichsten Jugendschriftsteller seiner Zeit gemacht hat.
Seine Erzählung Wie Heinrich von Eichenfels zur Erkenntnis Gottes kam von 1817 erschien 1836 auf Finnisch und ist somit eine der ersten ins Finnische übersetzten Erzählungen für Kinder und Jugendliche überhaupt. Heinrich von Eichenfels – auf Finnisch zuerst Heikki Jäykkänen, später Heikki Tamminen – war “ein zartes, wunderschönes Knäblein”, das seine Eltern “unaussprechlich liebten”. Aber eines Tages wurde er heimtückisch geraubt, und so musste “das holde Knäblein” jahrelang in einer “schauerlichen Höhle” verbringen. Ohne hier mehr über die Handlung zu verraten, sei nur vorausgeschickt, dass die Geschichte ein Happy End hat: das Gute wird belohnt, das Böse bestraft.
Schon 1810 hatte Christoph von Schmid die alte Sage von Genovefa von Brabant neu erzählt und veröffentlicht unter dem Titel Genovefa. Eine der schönsten und rührendsten Geschichten des Alterthums, neu erzählt für alle guten Menschen, besonders für Mütter und ihre Kinder. Durch Schmids Erzählung fand diese Sage eine weite Verbreitung und große Bekanntheit überall in Europa – auch in Finnland, wo sie 1847 in der finnischen Übersetzung von Antti Räty unter dem Namen Genoveva, tahi Kertomus yhen jumalisen rouan wiattomasta kärsimisestä erschien. Genoveva war “als erwachsene Jungfrau […] das Bild der Unschuld und Schönheit, und alle frommen Mütter stellten das Fräulein – denn so nannte man damals noch die herzoglichen Prinzeßinnen – ihren Kindern als ein Beyspiel der Frömmigkeit, der Eingezogenheit, der Sittsamkeit, des Fleißes, der Sanftheit, und jeder weiblichen Tugend vor”. Diese Genoveva war in Finnland unglaublich beliebt: bis Ende des 19. Jahrhundert hatte die Erzählung schon die 10. Auflage mit einer Gesamtauflage von 12 000 Exemplaren erreicht (zum Vergleich: die Erstauflage von Aleksis Kivis Seitsemän veljestä 1870 betrug 500 Exemplare). Zehn Jahre nach der ersten finnischen Genoveva-Ausgabe erschien auch Schmids Erzählung Der Kanarienvogel (1821) auf Finnisch mit dem Titel Sirkkuinen: siweydellinen kertomus kansalle (1857). Diese edel-tugendhafte deutsche Tradition brach aber schon 1869 ab, als die erste finnische Übersetzung des Struwwelpeters erschien.
Die ersten deutschen Übersetzungen finnischer Kinder- und Jugendliteratur ließen noch eine ganze Weile auf sich warten, denn abgesehen von einer kleinen Anzahl moralisch-didaktischer Erbauungsliteratur gab es bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch kaum finnischsprachige Kinder- und Jugendbücher. Die Situation änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Zachris Topelius (1818–1898), der die finnische Kinderliteratur auf ein internationales Niveau brachte. So ist es nicht überraschend, dass die wohl ersten deutschen Übersetzungen finnischer Kinderliteratur zwei Sammlungen seiner Märchen waren, nämlich Finnländische Märchen und Neue finnländische Märchen, beide 1924 erschienen.
Das erste oder zumindest eines der ersten finnischen Jugendbücher auf dem deutschen Buchmarkt scheint nach Angaben der Übersetzungsdatenbank von FILI Anelma Vuorios Die Karas (1944) zu sein; das Original erschien 1940 unter dem Namen Vapaus ‘Freiheit’ – ein Buch, das man auch getrost ignorieren kann. In den 1950er Jahren erschienen die ersten Mumin-Bücher in deutscher Übersetzung sowie die ersten finnischen Mädchenbücher. Im Jahr 1958 standen sogar zwei finnische Jugend- bzw. Mädchenbücher auf der Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises: Annikki Setäläs Irja tauscht Rentiere (1957, Orig. Karhunkierros 1956) und Aili Konttinens Geh nicht fort, Inkeri! (1957, Orig. Inkeri palasi Ruotsista 1947). In den nächsten 50 Jahren kamen insgesamt nur sieben finnische Kinder- oder Jugendbücher auf diese Liste (Angabe ohne Gewähr!), aber im Jahr 2011 fand man dort wieder etwas Finnisches: Aino Havukainen und Sami Toivonens Tatu und Patu und ihre verrückten Maschinen (2012, Orig. Tatun ja Patun oudot kojeet 2005).
Nach dem etwas zögerlichen Anfang ist die Zahl der deutschen Übersetzungen finnischer Kinder- und Jugendbücher schnell gestiegen. Auch das Angebot in der Auswahl der Themen und der Genres ist sehr vielseitig geworden: von Bilderbüchern für Kleinkinder über Buchreihen für jugendliche Leseratten bis hin zu Comic-Büchern, Fantasy und Thriller für Jugendliche.
Die diesjährigen Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen der SK Stiftung Kultur in Köln stehen ganz im Zeichen Finnlands. In den ersten drei Juniwochen halten 13 finnische Kinderbuchautorinnen, begleitet von Kölner Fennistik-Studierenden, zahlreiche Lesungen in Kölner Schulen und Bibliotheken. Zum Rahmenprogramm gehören Figurentheater- und Filmvorführungen sowie eine wissenschaftliche Tagung über “Aktuelle Perspektiven auf Kinder- und Jugendliteraturen aus Finnland”, die vom Institut für Skandinavistik/Fennistik der Universität zu Köln und der Abteilung für skandinavische Sprachen und Literaturen der Universität Bonn veranstaltet wird.
Das Programm der Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen ist einfach fantastisch und in dem Sinne auch alltäglich, als das Programm in den kommenden drei Wochen für (fast) jeden Tag etwas anbietet. Somit bildet die Ausstellung “Alltäglich fantastisch: Kindergeschichten aus Finnland!” einen wunderbaren Rahmen für die diesjährigen Buchwochen. Viel Vergnügen und viel Spaß beim Entdecken der finnischen Kindergeschichten!
Internationale Kinder- und Jugendbuchwochen in Köln 31. Mai – 22. Juni 2014
Marja Järventausta ist Professorin für Fennistik am Institut für Skandinavistik/Fennistik der Universität zu Köln und Vorstandsmitglied der Deutsch-Finnischen Gesellschaft in Köln e.V.
Überarbeitete Version des Grußworts zur Eröffnung der Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen sowie der Ausstellung “Alltäglich fantastisch: Kindergeschichten aus Finnland!” am 31.5. im Alten Pfandhaus in Köln
Die deutsch-finnischen Literaturbeziehungen haben eine lange Tradition aufzuweisen. In dieser Tradition nimmt die Kinder- und Jugendliteratur eine wichtige Rolle ein, da viele der ersten finnischen Kinder- und Jugendbücher Übersetzungen aus dem Deutschen waren. Zuerst handelte es sich vor allem um Bücher zur religiösen Erziehung, Belehrung und Erbauung, aber schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen auch Erzählungen, die für Kinder und Jugendliche geschrieben waren. Großer Beliebtheit in Finnland erfreuten sich auch einige der moralisch-didaktischen Erzählungen Christoph von Schmids, eines katholischen Geistlichen, der 1768 im süddeutschen Dinkelsbühl geboren wurde und sich einen Namen als einer der erfolgreichsten Jugendschriftsteller seiner Zeit gemacht hat.
Seine Erzählung Wie Heinrich von Eichenfels zur Erkenntnis Gottes kam von 1817 erschien 1836 auf Finnisch und ist somit eine der ersten ins Finnische übersetzten Erzählungen für Kinder und Jugendliche überhaupt. Heinrich von Eichenfels – auf Finnisch zuerst Heikki Jäykkänen, später Heikki Tamminen – war “ein zartes, wunderschönes Knäblein”, das seine Eltern “unaussprechlich liebten”. Aber eines Tages wurde er heimtückisch geraubt, und so musste “das holde Knäblein” jahrelang in einer “schauerlichen Höhle” verbringen. Ohne hier mehr über die Handlung zu verraten, sei nur vorausgeschickt, dass die Geschichte ein Happy End hat: das Gute wird belohnt, das Böse bestraft.
Schon 1810 hatte Christoph von Schmid die alte Sage von Genovefa von Brabant neu erzählt und veröffentlicht unter dem Titel Genovefa. Eine der schönsten und rührendsten Geschichten des Alterthums, neu erzählt für alle guten Menschen, besonders für Mütter und ihre Kinder. Durch Schmids Erzählung fand diese Sage eine weite Verbreitung und große Bekanntheit überall in Europa – auch in Finnland, wo sie 1847 in der finnischen Übersetzung von Antti Räty unter dem Namen Genoveva, tahi Kertomus yhen jumalisen rouan wiattomasta kärsimisestä erschien. Genoveva war “als erwachsene Jungfrau […] das Bild der Unschuld und Schönheit, und alle frommen Mütter stellten das Fräulein – denn so nannte man damals noch die herzoglichen Prinzeßinnen – ihren Kindern als ein Beyspiel der Frömmigkeit, der Eingezogenheit, der Sittsamkeit, des Fleißes, der Sanftheit, und jeder weiblichen Tugend vor”. Diese Genoveva war in Finnland unglaublich beliebt: bis Ende des 19. Jahrhundert hatte die Erzählung schon die 10. Auflage mit einer Gesamtauflage von 12 000 Exemplaren erreicht (zum Vergleich: die Erstauflage von Aleksis Kivis Seitsemän veljestä 1870 betrug 500 Exemplare). Zehn Jahre nach der ersten finnischen Genoveva-Ausgabe erschien auch Schmids Erzählung Der Kanarienvogel (1821) auf Finnisch mit dem Titel Sirkkuinen: siweydellinen kertomus kansalle (1857). Diese edel-tugendhafte deutsche Tradition brach aber schon 1869 ab, als die erste finnische Übersetzung des Struwwelpeters erschien.
Die ersten deutschen Übersetzungen finnischer Kinder- und Jugendliteratur ließen noch eine ganze Weile auf sich warten, denn abgesehen von einer kleinen Anzahl moralisch-didaktischer Erbauungsliteratur gab es bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch kaum finnischsprachige Kinder- und Jugendbücher. Die Situation änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Zachris Topelius (1818–1898), der die finnische Kinderliteratur auf ein internationales Niveau brachte. So ist es nicht überraschend, dass die wohl ersten deutschen Übersetzungen finnischer Kinderliteratur zwei Sammlungen seiner Märchen waren, nämlich Finnländische Märchen und Neue finnländische Märchen, beide 1924 erschienen.
Das erste oder zumindest eines der ersten finnischen Jugendbücher auf dem deutschen Buchmarkt scheint nach Angaben der Übersetzungsdatenbank von FILI Anelma Vuorios Die Karas (1944) zu sein; das Original erschien 1940 unter dem Namen Vapaus ‘Freiheit’ – ein Buch, das man auch getrost ignorieren kann. In den 1950er Jahren erschienen die ersten Mumin-Bücher in deutscher Übersetzung sowie die ersten finnischen Mädchenbücher. Im Jahr 1958 standen sogar zwei finnische Jugend- bzw. Mädchenbücher auf der Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises: Annikki Setäläs Irja tauscht Rentiere (1957, Orig. Karhunkierros 1956) und Aili Konttinens Geh nicht fort, Inkeri! (1957, Orig. Inkeri palasi Ruotsista 1947). In den nächsten 50 Jahren kamen insgesamt nur sieben finnische Kinder- oder Jugendbücher auf diese Liste (Angabe ohne Gewähr!), aber im Jahr 2011 fand man dort wieder etwas Finnisches: Aino Havukainen und Sami Toivonens Tatu und Patu und ihre verrückten Maschinen (2012, Orig. Tatun ja Patun oudot kojeet 2005).
Nach dem etwas zögerlichen Anfang ist die Zahl der deutschen Übersetzungen finnischer Kinder- und Jugendbücher schnell gestiegen. Auch das Angebot in der Auswahl der Themen und der Genres ist sehr vielseitig geworden: von Bilderbüchern für Kleinkinder über Buchreihen für jugendliche Leseratten bis hin zu Comic-Büchern, Fantasy und Thriller für Jugendliche.
Die diesjährigen Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen der SK Stiftung Kultur in Köln stehen ganz im Zeichen Finnlands. In den ersten drei Juniwochen halten 13 finnische Kinderbuchautorinnen, begleitet von Kölner Fennistik-Studierenden, zahlreiche Lesungen in Kölner Schulen und Bibliotheken. Zum Rahmenprogramm gehören Figurentheater- und Filmvorführungen sowie eine wissenschaftliche Tagung über “Aktuelle Perspektiven auf Kinder- und Jugendliteraturen aus Finnland”, die vom Institut für Skandinavistik/Fennistik der Universität zu Köln und der Abteilung für skandinavische Sprachen und Literaturen der Universität Bonn veranstaltet wird.
Das Programm der Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen ist einfach fantastisch und in dem Sinne auch alltäglich, als das Programm in den kommenden drei Wochen für (fast) jeden Tag etwas anbietet. Somit bildet die Ausstellung “Alltäglich fantastisch: Kindergeschichten aus Finnland!” einen wunderbaren Rahmen für die diesjährigen Buchwochen. Viel Vergnügen und viel Spaß beim Entdecken der finnischen Kindergeschichten!
Internationale Kinder- und Jugendbuchwochen in Köln 31. Mai – 22. Juni 2014
Marja Järventausta ist Professorin für Fennistik am Institut für Skandinavistik/Fennistik der Universität zu Köln und Vorstandsmitglied der Deutsch-Finnischen Gesellschaft in Köln e.V.
Überarbeitete Version des Grußworts zur Eröffnung der Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen sowie der Ausstellung “Alltäglich fantastisch: Kindergeschichten aus Finnland!” am 31.5. im Alten Pfandhaus in Köln
Die deutsch-finnischen Literaturbeziehungen haben eine lange Tradition aufzuweisen. In dieser Tradition nimmt die Kinder- und Jugendliteratur eine wichtige Rolle ein, da viele der ersten finnischen Kinder- und Jugendbücher Übersetzungen aus dem Deutschen waren. Zuerst handelte es sich vor allem um Bücher zur religiösen Erziehung, Belehrung und Erbauung, aber schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen auch Erzählungen, die für Kinder und Jugendliche geschrieben waren. Großer Beliebtheit in Finnland erfreuten sich auch einige der moralisch-didaktischen Erzählungen Christoph von Schmids, eines katholischen Geistlichen, der 1768 im süddeutschen Dinkelsbühl geboren wurde und sich einen Namen als einer der erfolgreichsten Jugendschriftsteller seiner Zeit gemacht hat.
Seine Erzählung Wie Heinrich von Eichenfels zur Erkenntnis Gottes kam von 1817 erschien 1836 auf Finnisch und ist somit eine der ersten ins Finnische übersetzten Erzählungen für Kinder und Jugendliche überhaupt. Heinrich von Eichenfels – auf Finnisch zuerst Heikki Jäykkänen, später Heikki Tamminen – war “ein zartes, wunderschönes Knäblein”, das seine Eltern “unaussprechlich liebten”. Aber eines Tages wurde er heimtückisch geraubt, und so musste “das holde Knäblein” jahrelang in einer “schauerlichen Höhle” verbringen. Ohne hier mehr über die Handlung zu verraten, sei nur vorausgeschickt, dass die Geschichte ein Happy End hat: das Gute wird belohnt, das Böse bestraft.
Schon 1810 hatte Christoph von Schmid die alte Sage von Genovefa von Brabant neu erzählt und veröffentlicht unter dem Titel Genovefa. Eine der schönsten und rührendsten Geschichten des Alterthums, neu erzählt für alle guten Menschen, besonders für Mütter und ihre Kinder. Durch Schmids Erzählung fand diese Sage eine weite Verbreitung und große Bekanntheit überall in Europa – auch in Finnland, wo sie 1847 in der finnischen Übersetzung von Antti Räty unter dem Namen Genoveva, tahi Kertomus yhen jumalisen rouan wiattomasta kärsimisestä erschien. Genoveva war “als erwachsene Jungfrau […] das Bild der Unschuld und Schönheit, und alle frommen Mütter stellten das Fräulein – denn so nannte man damals noch die herzoglichen Prinzeßinnen – ihren Kindern als ein Beyspiel der Frömmigkeit, der Eingezogenheit, der Sittsamkeit, des Fleißes, der Sanftheit, und jeder weiblichen Tugend vor”. Diese Genoveva war in Finnland unglaublich beliebt: bis Ende des 19. Jahrhundert hatte die Erzählung schon die 10. Auflage mit einer Gesamtauflage von 12 000 Exemplaren erreicht (zum Vergleich: die Erstauflage von Aleksis Kivis Seitsemän veljestä 1870 betrug 500 Exemplare). Zehn Jahre nach der ersten finnischen Genoveva-Ausgabe erschien auch Schmids Erzählung Der Kanarienvogel (1821) auf Finnisch mit dem Titel Sirkkuinen: siweydellinen kertomus kansalle (1857). Diese edel-tugendhafte deutsche Tradition brach aber schon 1869 ab, als die erste finnische Übersetzung des Struwwelpeters erschien.
Die ersten deutschen Übersetzungen finnischer Kinder- und Jugendliteratur ließen noch eine ganze Weile auf sich warten, denn abgesehen von einer kleinen Anzahl moralisch-didaktischer Erbauungsliteratur gab es bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch kaum finnischsprachige Kinder- und Jugendbücher. Die Situation änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Zachris Topelius (1818–1898), der die finnische Kinderliteratur auf ein internationales Niveau brachte. So ist es nicht überraschend, dass die wohl ersten deutschen Übersetzungen finnischer Kinderliteratur zwei Sammlungen seiner Märchen waren, nämlich Finnländische Märchen und Neue finnländische Märchen, beide 1924 erschienen.
Das erste oder zumindest eines der ersten finnischen Jugendbücher auf dem deutschen Buchmarkt scheint nach Angaben der Übersetzungsdatenbank von FILI Anelma Vuorios Die Karas (1944) zu sein; das Original erschien 1940 unter dem Namen Vapaus ‘Freiheit’ – ein Buch, das man auch getrost ignorieren kann. In den 1950er Jahren erschienen die ersten Mumin-Bücher in deutscher Übersetzung sowie die ersten finnischen Mädchenbücher. Im Jahr 1958 standen sogar zwei finnische Jugend- bzw. Mädchenbücher auf der Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises: Annikki Setäläs Irja tauscht Rentiere (1957, Orig. Karhunkierros 1956) und Aili Konttinens Geh nicht fort, Inkeri! (1957, Orig. Inkeri palasi Ruotsista 1947). In den nächsten 50 Jahren kamen insgesamt nur sieben finnische Kinder- oder Jugendbücher auf diese Liste (Angabe ohne Gewähr!), aber im Jahr 2011 fand man dort wieder etwas Finnisches: Aino Havukainen und Sami Toivonens Tatu und Patu und ihre verrückten Maschinen (2012, Orig. Tatun ja Patun oudot kojeet 2005).
Nach dem etwas zögerlichen Anfang ist die Zahl der deutschen Übersetzungen finnischer Kinder- und Jugendbücher schnell gestiegen. Auch das Angebot in der Auswahl der Themen und der Genres ist sehr vielseitig geworden: von Bilderbüchern für Kleinkinder über Buchreihen für jugendliche Leseratten bis hin zu Comic-Büchern, Fantasy und Thriller für Jugendliche.
Die diesjährigen Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen der SK Stiftung Kultur in Köln stehen ganz im Zeichen Finnlands. In den ersten drei Juniwochen halten 13 finnische Kinderbuchautorinnen, begleitet von Kölner Fennistik-Studierenden, zahlreiche Lesungen in Kölner Schulen und Bibliotheken. Zum Rahmenprogramm gehören Figurentheater- und Filmvorführungen sowie eine wissenschaftliche Tagung über “Aktuelle Perspektiven auf Kinder- und Jugendliteraturen aus Finnland”, die vom Institut für Skandinavistik/Fennistik der Universität zu Köln und der Abteilung für skandinavische Sprachen und Literaturen der Universität Bonn veranstaltet wird.
Das Programm der Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen ist einfach fantastisch und in dem Sinne auch alltäglich, als das Programm in den kommenden drei Wochen für (fast) jeden Tag etwas anbietet. Somit bildet die Ausstellung “Alltäglich fantastisch: Kindergeschichten aus Finnland!” einen wunderbaren Rahmen für die diesjährigen Buchwochen. Viel Vergnügen und viel Spaß beim Entdecken der finnischen Kindergeschichten!
Internationale Kinder- und Jugendbuchwochen in Köln 31. Mai – 22. Juni 2014
Marja Järventausta ist Professorin für Fennistik am Institut für Skandinavistik/Fennistik der Universität zu Köln und Vorstandsmitglied der Deutsch-Finnischen Gesellschaft in Köln e.V.
Überarbeitete Version des Grußworts zur Eröffnung der Internationalen Kinder- und Jugendbuchwochen sowie der Ausstellung “Alltäglich fantastisch: Kindergeschichten aus Finnland!” am 31.5. im Alten Pfandhaus in Köln