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v.l.n.r.: Fiona Bjugg, Olivia Gripenwaldt, Sini-Sophia Kämpny. © Finnland-Institut/Foto: Mikaela Mäkelä

„Du musst einfach einen finnischen Wasserhahn herbringen“

Fiona Bjugg und Olivia Gripenwaldt sind im August 2021 aus Finnland nach Berlin gezogen, um ein Volontariat am Finnland-Institut zu absolvieren. Während Fiona bald an der Uni Helsinki ihren Bachelor abschließt, ist Olivia gerade mit ihrem Masterstudium an der Åbo Akademi, der schwedischsprachigen Universität in Turku, fertig geworden. Am Finnland-Institut arbeiten beide u.a. mit Sini-Sophia Kämpny zusammen, die als Kind einer deutsch-finnischen Familie in Deutschland aufgewachsen ist und in Braunschweig ihr Bachelorstudium abgeschlossen hat. Im Rahmen ihres Praktikums befragte Sini Fiona und Olivia in folgendem Interview zu ihren aktuellen Deutschland-Erfahrungen.

 

Wie seid ihr zum Finnland-Institut gekommen?

Fiona: Ich habe schon länger darüber nachgedacht, mal eine Zeitlang in Berlin zu leben. Durch die Corona-Lage wurde die Planung allerdings erstmal erschwert. Ich kannte meinen Vorgänger Matias schon vom Studium her und wusste, dass er als Volontär ans Finnland-Institut gegangen ist. Irgendwann hat er auf der Facebook-Seite meiner Fachschaft einen Beitrag des Instituts geteilt, dass eine Volontariatsstelle frei ist. Das Volontariat schien alles zu enthalten, wonach ich gesucht habe, da ich Germanistik mit Kunst-, Sozialwissenschaften und Gender Studies studiert habe. Und an Kunst und Kultur habe ich sowieso großes Interesse! Also habe ich mich beworben. Ich bekomme übrigens auch Studienpunkte für das Volontariat!

Olivia: Auch ich habe durch mein Studium vom Finnland-Institut erfahren, aber auf etwas andere Weise. In meinem ersten Studienjahr hat Laura Hirvi, die damalige Leiterin, das Institut bei uns an der Uni vorgestellt, und noch im selben Jahr waren wir im Rahmen einer Studienreise hier. Ich wusste also schon vier Jahre lang vom Finnland-Institut, bevor ich mich beworben habe! Außerdem interessiere ich mich schon lange für die finnisch-deutschen-Beziehungen. Deswegen war es wirklich schön, eine Volontariatsstelle zu finden, in der es genau darum geht.

 

Hattet ihr vorher schon Berührungspunkte mit Deutschland?

Olivia: Ja! In der Oberstufe habe ich einen Sommeraustausch in der Nähe vom Bodensee gemacht. Ich habe sechs Wochen bei einer deutschen Familie gelebt und konnte den Großteil meiner Zeit dort zur Schule gehen. Danach war ich über den Sommer in Deutschland arbeiten und später im Erasmus-Austausch in Heidelberg. Das erste Jahr meines Masterstudiums habe ich in Eichstätt in Bayern verbracht.

Fiona: Einen Schüler- oder Studienaustausch habe ich nie gemacht, bin aber mit meiner Familie als Kind und Jugendliche öfters in Deutschland in Urlaub gewesen und habe die verschiedensten Städte bereist. Am häufigsten waren wir in Berlin, da auch meine Schwester ein Jahr hier gelebt hat und ihr Freund auch in Berlin wohnte. In der Oberstufe war ich außerdem mit meinem Deutschkurs in Berlin. Natürlich ist auch mein Germanistik-Studium ein wichtiger Berührungspunkt.

 

Worin unterscheidet sich die deutsche Kultur von eurem gewohnten finnischen Umfeld? Welche Unterschiede nehmt ihr zwischen dem finnischen und dem deutschen Arbeitsleben wahr?

Fiona: Die Menschen sind hier offener und sozial aktiver. Man grüßt beispielsweise öfter. Die Menschen in Finnland sind etwas zurückhaltender und verschlossener. In Finnland oder Helsinki sind die Kreise natürlich viel kleiner als im großen, freien Berlin. In Finnland scheint es, als ob sich jeder für das interessiert, was der andere tut. Hier in Berlin gibt es so viele verschiedene Kreise und es ist ständig so viel los, dass alles anonymer abläuft.

Olivia: Dienstleister sind hier allerdings oft seeehr viel unfreundlicher als in Finnland. Und dann gibt es natürlich noch diese fast schon Stereotype, beispielsweise, dass es in Finnland ganz in Ordnung ist, mal einfach still zu sein, man braucht nicht die ganze Zeit über zu reden. Außerdem sind die Menschen hier in Deutschland zwar offener, in Finnland hingegen empathischer und herzlicher. Ich weiß nicht, ob ich vielleicht so empfinde, weil ich solche Verbindungen nur mit Finnen habe.

Fiona: Ein wichtiger Unterschied im Alltagsleben ist, dass in Deutschland vor allem bei der Arbeit und an der Uni Hierarchien wirklich eine Rolle spielen. Der E-Mail-Verkehr ist immer sehr formal und man siezt sich, während ich mit meinen finnischen Dozent_innen und Kolleg_innen deutlich entspannter und auf Augenhöhe schreibe.

Olivia: Auch im Berufsleben habe ich das Gefühl, dass die Menschen hier mehr reden. In Finnland werden in Meetings die nötigsten Themen schnell und zielorientiert durchgesprochen.

Fiona: Genau! Hier wird mehr hin und her diskutiert, während man in Finnland schnell zur Sache kommt.

 

Gefällt euch die Arbeit im Finnland-Institut?

Fiona: Oh ja! Ich habe gerade heute darüber nachgedacht, wie dynamisch ich ständig zwischen den Aufgabenbereichen wechseln kann. Es ist nie langweilig; kein Tag gleicht dem anderen!

Olivia: Gerade jetzt, wo ich mit dem Studium fertig bin, ist es schön, verschiedene Dinge auszuprobieren. Es könnte mir vielleicht dabei helfen herauszufinden, was ich hiernach machen möchte. Und man lernt, Deutsch auch in anspruchsvollen Situationen anwenden zu können.

 

Was würdet ihr anderen Finn_innen raten, die nach Deutschland kommen möchten?

Fiona: Lern Deutsch! Das hilft einem in vielen Situationen.

Olivia: Man sollte allgemein nicht davon ausgehen, dass sowieso alle Englisch sprechen.

Fiona: Mmm, genau. Bei einem Umzug in egal welches Land sollte man Mut, eine gewisse Eigenmotivation und Unabhängigkeit haben. Man muss bereit sein, Dinge selbst herauszufinden, denn die ersten Schritte, wie die Bürokratie, sind ja nicht so leicht. Mit der richtigen Vorbereitung und Einstellung kann man aber alles überstehen!

Olivia: Und in Deutschland sollte man immer Bargeld dabei haben!

 

Was vermisst du aus Finnland, wenn du in Deutschland bist, und umgekehrt?

Olivia: Das Roggenbrot und meine Freunde und Familie in Finnland.

Fiona: Ich auch – und den Kaffee! In Finnland gibt es eine viel bessere Kaffeeauswahl. Mir fehlen auch die Natur, das Meer, die Ruhe… und ich sehne mich nach dem finnischen Leitungswasser!

Olivia: Oh ja, das Leitungswasser… Du musst einfach einen finnischen Wasserhahn herbringen! Aus Deutschland werde ich aber auch Menschen vermissen, die ich hier zurücklassen muss. Und dieses Freiheitsgefühl, von dem wir schon gesprochen haben. Man kann tun, was man will.

Fiona: Ich werde ganz allgemein die Atmosphäre hier vermissen und vielleicht auch die Möglichkeiten, Neues zu entdecken.

Olivia: All die schönen Restaurants und Cafés, und die günstigen Essenspreise!

Fiona: …die Architektur, die historischen Sehenswürdigkeiten… und die dm-Drogerien!

 

Wie unterscheidet sich euer Alltag in Finnland von dem in Deutschland?

Olivia: In Finnland habe ich tägliche Routinen, die ich hier noch nicht geschafft habe zu entwickeln. Auch wegen der wechselnden Arbeitszeiten!

Fiona: In Finnland plane ich viel länger im Voraus. Ich kann mich drei Wochen im Voraus mit meinen Freunden für einen bestimmten Tag und eine bestimmte Uhrzeit verabreden. Hier verabredet man sich am gleichen Tag, für ein Treffen eine Stunde vorher. Die Atmosphäre ist hier einfach viel spontaner und lockerer. Was noch? Das Frühstück ist anders!

Olivia: Stimmt – ich habe sogar angefangen Nutella zu essen! Übrigens komme ich morgens meistens nicht einmal dazu zu frühstücken.

 

Welches war für euch die bisher herausforderndste Aufgabe während des Volontariats, und warum?

Olivia: Ein Finanzierungs-Antrag, für den wir recht wenig Zeit hatten. Und die Sprachkurse zum Europäischen Tag der Sprachen, weil ich noch nie „Unterricht“ gegeben und bisher auch nicht so viel mit kleinen Kindern zu tun gehabt habe.

Fiona: Die bisher herausforderndste Aufgabe war für mich wohl die Übersetzung eines langen und aus verschiedenen deutschen und auch englischen Einzeltexten aufgebauten Drittmittel-Antrags ins Finnische. Dies – bzw. das Übersetzen an sich – ist ja deswegen so anspruchsvoll, weil man erstmal den Ausgangstext wirklich begreifen muss, damit man sich an die Arbeit machen kann und schließlich ein möglichst sinnvolles und gut zu lesendes Ergebnis entsteht.

 

Ihr habt eine Info-Veranstaltung für Studierende der Humboldt-Universität abgehalten. Welche Reaktion oder Frage hat euch am meisten überrascht?

Fiona: Mich hat am meisten überrascht, dass die finnische Dozentin meinte, zu ihrer Schulzeit sei es so anders gewesen als heute. Sie findet, dass die gymnasiale Oberstufe früher in Finnland längst nicht so anspruchsvoll war wie jetzt und dass die Jugendlichen deshalb sorgloser waren.

Olivia: Die überraschte Reaktion darauf, wie viel – oder meiner Meinung nach wenig – Studiengeld man in Finnland bekommt. Ich konnte nicht einschätzen, ob die Reaktion überrascht war, weil sie dachten, dass wir viel oder wenig Geld bekommen, nämlich ca. 250 Euro.

 

Welches deutsche Wort findet ihr besonders speziell oder vielsagend, und warum?

Fiona: „Weltoffen“ finde ich sehr schön. Dafür gibt es meiner Meinung nach im Finnischen auch keine hundertprozentige Entsprechung, die auch das warme Gefühl ausdrückt, das „weltoffen“ umfasst. Das Wort ist auch für mich persönlich sehr wichtig und inspirierend, denn schließlich möchte ich selbst offen für die Welt und die Möglichkeiten, die sich bieten, sein!

Olivia: Mir ist als Erstes „Handschuhe” eingefallen, weil es doch einfach so ein anschauliches Wort ist – Schuhe für die Hände!

 

Übersetzung aus dem Finnischen: Sini-Sophia Kämpny, Marion Holtkamp

 

 

Sini-Sophia Kämpny studiert an der Technischen Universität Berlin Kunstwissenschaften und absolviert zurzeit ein Praktikum am Finnland-Institut.

Sini-Sophia Kämpny opiskelee taiteiden tutkimusta Berliinin Technische Universität -yliopistossa. Hän teki haastattelun osana harjoitteluaan Suomen Saksan-instituutissa.

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