Warum in die Ferne schweifen? Ein Interview mit Robert Bär
Robert Bär ist ein deutscher Lehrer für deutsche Sprache und Musik, der in Finnland lebt. Er arbeitet als Lehrkraft an der gymnasialen Oberstufe der Deutschen Schule Helsinki. Sein früherer Schüler Olli Jokela hat ihn interviewt.
Darüber hinaus ist Robert Bär beim Wettbewerb Jugend musiziert aktiv und vertritt in dessen Hauptausschuss die Schulen außerhalb Deutschlands. 2014 wurde er für seine Arbeit im Bereich der finnisch-deutschen Beziehungen mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Interessant ist, wie sich Robert Bärs Weg nach und mit Finnland überhaupt entwickelt hat.
Robert Bär erzählt, dass er ursprünglich Anfang der 1990er-Jahre wegen einer finnischen Frau, die er während seines Studiums kennengelernt hatte, nach Finnland kam. Seitdem lebt er in Finnland, also immerhin seit gut 30 Jahren.
Anfangs, sagt er, waren die Unterschiede zwischen dem finnischen und dem deutschen Arbeitsleben und der Gesellschaft relativ gering. In der Praxis ähneln sie sich stark. Je länger man jedoch in Finnland lebt, desto mehr fallen einem die Unterschiede zwischen den Ländern und Kulturen auf. „Kulturelle und soziale Unterschiede bedeuten zum Beispiel, dass man in Finnland mehr Geduld braucht und die Menschen in sozialen Situationen zurückhaltender sind”, sagt Robert Bär. Er findet auch, dass die Finnen von der Mentalität her den Norddeutschen näherstehen und dass die Unterschiede zwischen Süddeutschen und Finnen umso deutlicher sind.
Laut Herrn Bär passen die finnische und die deutsche Welt gut zusammen, da das Leben und die Kultur sehr ähnlich sind. Es gibt Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten im Alltag und in den Werten. Die Finnen wirken bescheidener und zurückhaltender. Die Diskussionskultur sei anders, und die Finnen verträten ihre Ansichten nicht so lautstark. Herr Bär meint, dass die Finnen auch mehr körperlichen Abstand zu Fremden halten. Aber wenn man die Finnen kennenlernt und sie sich sozial erwärmen, werden die Unterschiede zwischen den Kulturen geringer.
Heute sagt Herr Bär, dass er nicht mehr viel von Deutschland vermisst. Bis auf die Sprache, aber die pflegt er ja in der Deutschen Schule. Vor 30 Jahren war das noch ganz anders, Finnland ist ja geografisch sehr weit von der internationalen Atmosphäre Mittel- und Südeuropas entfernt. Heute jedoch ist Helsinki eine durchaus „europäische“ Stadt geworden, und man braucht diesbezüglich nicht mehr in die Ferne zu schweifen. Dreißig Jahre später bieten Finnland und Helsinki alles, was man sich in Europa wünschen kann, meint Robert Bär, und das Reisen zwischen den beiden Ländern sei sehr einfach geworden.
Finnland wird seit mehreren Jahren als das glücklichste Land der Welt bezeichnet und in der ganzen Welt bewundert und bestaunt. Herrn Bär zufolge bedeutet Glück für die Finnen nicht das „große“ Glück, sondern in erster Linie, mit dem zufrieden zu sein, was man bereits hat. Statt sich auf das Streben nach Glück zu konzentrieren, gibt man sich mit den kleinen Dingen des Lebens zufrieden und beschwert sich weniger über Unnötiges.
Schließlich erklärt Herr Bär im Brustton der Erfahrung, wie man sich als Deutscher Zugang zur finnischen Gesellschaft und Mentalität verschafft: Er ruft zu Geduld und Eigeninitiative auf. Wenn man in Finnland darauf wartet, dass die Finnen Kontakt aufnehmen, kann man leicht zum Außenseiter werden. Aktiv zu sein und an Freizeitaktivitäten wie Sport, Musik, einem Chor oder anderen gemeinschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen, hilft, Kontakte zu knüpfen. Und ehe man sich versieht, hat man finnische Freunde gefunden!