Tuukka Hahl empfiehlt aus der Bibliothek des Finnland-Instituts: Seppo Hentilä, Neutral zwischen den beiden deutschen Staaten. Finnland und Deutschland im Kalten Krieg. Übersetzung: Gabriele Schrey-Vasara
Im Instituts-Buchregal habe ich Professor Seppo Hentiläs Geschichtswerk Neutral zwischen den beiden deutschen Staaten; Finnland und Deutschland im Kalten Krieg gefunden. Das 2003 im finnischen Original unter dem Titel Kaksi Saksaa ja Suomi Saksan-kysymys Suomen puolueettomuuspolitiikan haasteena erschienene Buch berichtet über die Beziehung Finnlands zur Teilung Deutschlands, eine der wichtigsten Epochen der europäischen Zeitgeschichte. Keine andere internationale Streitfrage zog Finnland im Kalten Krieg so unerbittlich zwischen die beiden Fronten wie die Deutschlandfrage. Das Buch basiert auf vielfältigen Quellen und hat seinen Schwerpunkt in der Zeit um Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre. In jener Zeit hatte die Weltpolitik bereits damit begonnen sich zu verändern, erste Dialoge zwischen den Machtblöcken hatten stattgefunden und für merkliche Entspannung gesorgt. Professor Hentilä ist nicht nur ein ausgezeichneter Historiker, der seine Quellen zu interpretieren versteht, sondern auch ein fähiger Schreiber, der seine Berichterstattung wie ein Krimi bis zum Ende mit Spannung füllt.
Wenn man sich mit der Nachkriegszeit auseinandersetzt, so erscheint einem die Deutschlandfrage in der Tat als sehr komplex. Deutschland war in zwei Staaten geteilt worden, die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik. Beide Staaten gehörten verschiedenen, einander feindlichen ausgerichteten, Blöcken an. Etwa 20 Jahre lang wollte die Bundesrepublik nichts mit der DDR zu tun haben. Nach dem sog. Alleinvertretungsanspruch hielt die BRD sich für den einzigen legitimen Vertreter des deutschen Volkes und drohte die diplomatische Beziehung mit jedem Drittland abzubrechen, welches die DDR anerkannt hätte. Daher war die DDR für lange Zeit sehr isoliert und auf sich allein gestellt, wenn man von der Zusammenarbeit mit den wenigen anderen Ostblockstaaten einmal absieht.
Als einziger Staat der Welt hatte Finnland die beiden deutschen Staaten gleichwertig behandelt. Finnland befand sich in einer grauen Zone, eingekeilt zwischen den Machtblöcken, da es einerseits ein kapitalistischer Staat war, sich auf der anderen Seite aber auch in direkter Nachbarschaft mit der Sowjetunion befand und sich daher möglichst aus internationalen Konflikten heraushalten sollte. Wegen des Beistandspakts zwischen Finnland und der Sowjetunion, der 1948 geschlossen worden war und sich auf eine militärische Bedrohung durch Deutschland gründete, war es für Finnland zunächst schwierig, die BRD anzuerkennen. Eine Anknüpfung diplomatischer Beziehungen mit der DDR jedoch hätte wiederum die Glaubwürdigkeit Finnlands und die wirtschaftlichen Beziehungen mit der westlichen Welt in Gefahr gebracht. In dieser Pattsituation hatte Finnland Schritt für Schritt seine Beziehungen mit den beiden deutschen Staaten aufgebaut und immer auf den richtigen Moment gewartet, für die deutsche Frage eine Lösung zu finden.
Die DDR sah großes Potential in der Beziehung mit Finnland zur kapitalistischen Welt und hoffte lange, durch die Anerkennung Finnlands aus der diplomatischen Isolation frei zu kommen. In der BRD sorgte man sich bereits 1955 darüber, dass Finnland als erstes nichtsozialistisches Land die DDR anerkennen könnte, und wollte dies natürlich verhindern. Die meisten Finnen hielten die Bundesrepublik Deutschland für das „richtige“ Deutschland, aber welche Rolle spielte das schon in der politischen Realität? Zwei deutsche Handelsvertretungen wurden in Helsinki gegründet und die kulturelle Zusammenarbeit mit Finnland und den beiden deutschen Staaten wurde in den 1960er-Jahren weiter gestärkt und ausgebaut. Wegen der fehlenden diplomatischen Beziehungen hatte die DDR lange versucht, inoffizielle Kontakte mit der finnischen Elite zu bilden. Die beiden deutschen Staaten versuchten ebenfalls, ihren Einfluss in Finnland und in der fremden politischen Kultur zu stärken, um so das Eis mit dem nordischen Volk zu brechen.
Seppo Hentilä hat umfangreiches Hintergrundmaterial, angefangen von Protokollen der finnischen Parteien bis hin zu Archivmaterialien der Auswärtigen Ämter der Großmächte, zusammengetragen. Durch die Berichte der Stasi und der SED-Protokolle konnte er die gegenwärtige Position der DDR in jeder einzelnen Phase mitverfolgen. Die Entspannung in der Weltpolitik hatte auch für Veränderungen in der Deutschlandfrage gesorgt. Finnland konnte bis zur gegenseitigen Anerkennung der deutschen Staaten 1973 keine Lösung für das Problem finden. Insbesondere diese heiße Phase, welche in der gegenseitigen Anerkennung der beiden deutschen Staaten und selbstverständlich auch in der diplomatischen Anerkennung beider Staaten durch Finnland endete, beschreibt der Autor sehr präzise und detailliert.
Ich kann Professor Hentiläs Buch jedem nur wärmstens empfehlen, der sich für Zeitgeschichte interessiert. Die Thematik des Buches ist komplex, doch untermauert der Autor seine Argumentation durch interessante Details und Fakten sehr geschickt und verständlich. Er vermag wissenschaftliche Literatur spannend zu gestalten und dank seines journalistischen Stils die Geschichten, die seine Protagonisten erzählen, lebendig erscheinen zu lassen. Die DDR strebte nach diplomatischer Anerkennung, die BRD wollte dies verhindern und Finnland wollte möglichst neutral bleiben. Der Kampf fand auf höchster politischer Ebene statt und doch waren es Menschen und menschliche Beziehungen, die hinter den Entscheidungen standen. Ich persönlich empfinde die Deutschlandfrage als einen der interessantesten Bestandteile des Kalten Krieges, ein emotionaler Kampf um Anerkennung, Selbstbewusstsein und Erfolg.
Autor: Tuukka Hahl, Praktikant am Finnland-Institut