facebook twitter
post photo
Isabella Chydenius | © Finnland-Institut, Foto/kuva/photo: dotgain.info

„Ich war schon immer eine Nachtschwärmerin“

Die finnische Künstlerin Isabella Chydenius setzt sich in ihrer langjährigen Forschung mit dem Potenzial, aber auch den Risiken urbaner Clubkultur in der heutigen heteropatriarchalen Zeit auseinander. Die Jahresausstellung am Finnland-Institut umfasst neue Werke, die Clubs als Orte der Sicherheit und Zugehörigkeit reflektieren. 2021 stufte der Deutsche Bundestag Clubs und Livespielstätten als kulturelle Einrichtungen ein. Im Folgenden sind Auszüge des Gesprächs zu lesen, das Christine Nippe für den Katalog zur Visiting Art/ist-Ausstellung mit Isabella Chydenius geführt hat.

 

Christine Nippe: Ich bin sehr gespannt auf deine Ausstellung im Finnland-Institut in Berlin. Sie trägt den Titel Notizen über die Erschaffung von Räumen; das Potenzial von Clubnischen. Könntest du das etwas genauer erläutern?

Isabella Chydenius: Damit ist meine fortlaufende Erforschung des Zeit-Raums von Clubs gemeint, insbesondere meine Skizzenbücher, die mit Notizen, Fragen und Überlegungen zu Tanzflächen, Gängen, Clubecken und den dort befindlichen Menschenmengen gefüllt sind; die Möglichkeiten und das Potenzial, aber auch die bestehenden Risiken. Ich untersuche, wie Licht und Dunkelheit die Möglichkeit schaffen, sichtbar zu sein oder sich zu verstecken, beobachtet zu werden oder die Beobachterin zu sein. Das eine gibt es nicht ohne das andere.

 

CN: In der Ausstellung zeigst du neue Produktionen. Vielleicht könntest du kurz beschreiben, was du planst und wie sich die Arbeiten auf den Titel beziehen?

IC: Für die Ausstellung im Finnland-Institut lenke ich die Aufmerksamkeit des Betrachters auf den Denkprozess meiner Praxis und zeige eine Auswahl von Notizen und Zeichnungen aus meinen Skizzenbüchern, begleitet von den endgültigen Schlussfolgerungen daraus: eine Serie von Lichtskulpturen. Die Notizen vermitteln einen Eindruck von den Hintergründen meines Prozesses und davon, wie ich zu den minimalistischen Skulpturen komme. Die Lichtskulpturen sind das Ergebnis der De- und Re-Konstruktionen der Kernelemente, auf die ich mich in diesem Werk konzentrieren möchte. Bei den Skulpturen spiele ich mit der Idee von beleuchteten und absichtlich dunkel gelassenen Bereichen, den grauen Bereichen und der Bewegung von einem zum anderen. Sie sind eine Art extrem abstrakter Grundriss eines Clubs. Zusätzlich verwende ich in den Räumen des Instituts neonpinkes Klebeband, um den Betrachter durch den Raum zu führen. Normalerweise nutze ich dieses Klebeband in meinem #pinksquareproject, das sich in Stadtlandschaften abspielt. Dabei handelt es sich um eine Aktivierung meiner Notizen und Gedanken über die Schaffung von Raum im öffentlichen Raum, sowohl im sozialen als auch im architektonischen Bereich. Das Projekt besteht darin, dass ich eine quadratische Form auf den Boden oder an die Wände klebe und den Ort dokumentiere. Das Klebeband-Projekt wird in Berlin und anderen Städten, die ich im Laufe meines Jahres als Gastkünstlerin des Finnland-Instituts besuche, weitergeführt werden, weshalb ich es wichtig finde, auch in dieser Ausstellung darauf Bezug zu nehmen. Da ich in meiner Praxis soziale Räume in der Nachtökonomie untersuche – die Clubszene im urbanen Nachtleben –, mag ich es, die Grenzen zwischen Innen und Außen durcheinander zu bringen und manchmal das Äußere nach innen zu kehren, besonders in Galerien und Kunstinstitutionen, und umgekehrt.

Manchmal arbeite ich auch mit geschlitzter Kleidung. Damit möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Dichotomien der Tanzfläche lenken: die Aufregung und die Möglichkeit der Selbstdarstellung und das momentane Gefühl der Freiheit, das der Zeit-Raum bieten kann, während ich die Realität der Erfahrungen anerkenne, dass es nicht immer möglich ist, sich am Ende der Nacht auszuziehen und zu waschen.

 

CN: Wie bist du auf die Ideen für die neuen Arbeiten gekommen?

IC: Sie beruhen auf einer Komponente meiner umfassenderen Forschung, in der ich mich auf die Untersuchung der (Un-)Sicherheit und des Zugehörigkeitsgefühls in der Nacht und der Underground-Clubkultur im Kontext der heteropatriarchalen Zeit konzentriere. In meiner künstlerischen und akademischen Forschung untersuche ich die Nacht und den absichtlich geschaffenen sichere(re)n Raum in Clubs als eine übersehene Plattform, die als Zeit-Raum für eine Neuvorstellung des „Selbst“ und einer kollektiven Agenda dient, und argumentiere daher, wie sie historisch und dauerhaft als Katalysator für Veränderungen in der Gesellschaft dienen können. Beim vorliegenden Werk konzentriere ich mich auf den Prozess, den Raum neu zu schaffen, und betone dabei die Gegensätze von Chance und Risiko, Innen und Außen. Dazu verwende ich die starren Konstruktionen der quadratischen Form und als Medien das Licht und nachfolgend auch die Dunkelheit.

 

CN: Du arbeitest seit geraumer Zeit mit allen Schattierungen von Rosa. Könntest du die Wahl der Farbe erläutern? 

IC: Ein großer Teil meiner Arbeit wird durch das Objektiv der Farbe betrachtet, die ich „Club Pink“ genannt habe. Während meines Masterstudiums war ich dazu gekommen, die Clubkultur zu erforschen, insbesondere unter dem Aspekt der Sicherheit/Unsicherheit in einer heteropatriarchalen Gesellschaft. Wenn ich die Verwendung der Farbe Pink in den verschiedenen Clubs, in denen ich mich zu dieser Zeit bewegte, verallgemeinern könnte, dann so: In „Mainstream“-Clubs – Clubs, die keine gezielten Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit von Frauen und queeren Menschen zu gewährleisten – wurde sie oft als Farbe an den Wänden oder als Beleuchtung in den Damentoiletten verwendet. In vielen queeren Räumen wurde sie hingegen auch in Gemeinschaftsräumen und auf Bühnen usw. genutzt. In queeren Räumen verstand ich die Farbe als etwas, das zelebriert wird, und nicht als etwas, das „versteckt” wird, da es im Prinzip nur Frauen angeht. Ich arbeite gern mit Pink, weil die Farbe mich tatsächlich dazu zwingt, meine vorgefassten Meinungen und Vorurteile zu hinterfragen, mich an wunderbare Momente erinnert und Raum zum Nachdenken schafft. Und ich lade alle, die meine Werke betrachten, dazu ein, das auch zu tun.

 

CN: Wie bist du auf das Thema Clubs gestoßen und welche Faszination übt die Nacht auf dich aus?

IC: Ich bin immer mit meinen besten Freundinnen hingegangen, und ich habe die ganze Prozedur geliebt. Die Vorfreude darauf, sich gemeinsam fertig zu machen und in einen Club zu gehen; eine kleine Welt für sich, die mitreißende Musik, die überfüllte Tanzfläche, einfach nur tanzen und sich gehen lassen. Manchmal lernten wir neue Leute kennen. Manchmal gab es ein Drama, aber meistens hat es Spaß gemacht. Natürlich wurden wir vor den Risiken gewarnt. Ich kannte Frauen, die abgefüllt wurden, und Männer, denen körperlich Gewalt angetan wurde. Die Symptome patriarchalischer Gewalt waren allgegenwärtig.

Als ich 2008 zum Studieren nach Paris zog, lernte ich neue Freunde kennen und wurde in neue Ideen, Räume und Clubs eingeführt. Man zeigte mir die queere Szene – Räume, in denen ich tatsächlich die Augen schließen konnte, ohne ständig Angst vor Belästigungen durch Männer zu haben. Ich zog nach London, dann nach Kapstadt und lebte eine Zeit lang in L.A. Ich erinnere mich, dass ich dachte, dass Clubs ein weniger kuratierter Spiegel der Stadt sind, im Gegensatz zu Museen und Galerien. Die Clubs und das nächtliche Leben fühlen sich an wie die Kunst in Museen, nur lebendiger. Ich sehe sie als Orte, an denen Menschen zusammenkommen, und somit auch Kunst, Kultur und gesellschaftliche Herausforderungen und Freuden zusammenkommen und sich entwickeln.

 

CN: Wie gehst du grundsätzlich vor, wenn du neue Arbeiten entwickelst?

IC: Ich beginne in der Regel mit der Recherche von Literatur, die sich mit den Ideen befasst, die mich interessieren. Oft werde ich aber auch von der Popkultur, aktuellen lokalen oder globalen Ereignissen und Nachrichten beeinflusst, die mit meinen Forschungsthemen zu tun haben, sowie von meinen eigenen Erfahrungen und der gesammelten formellen und informellen Dokumentation. Ich mache mir ständig Notizen und skizziere Ideen. Ich dokumentiere auch aktiv meine Umgebung, aus der ich dann weitere Informationen ziehe und die ich in Kombination mit allem anderen, was ich sehe, lese und erlebe, interpretiere. Danach durchläuft alles einen Filterprozess, bei dem ich versuche, die Ideen zu dekonstruieren und alles Überflüssige loszuwerden, um dann das, was ich analysiert habe, als Kernidee des spezifischen Konzepts zu rekonstruieren und nur das Notwendige zu behalten. Ich interessiere mich oft dafür, wie man Ideen mit so wenig Gesten wie möglich vermitteln kann. Und an diesem Punkt des Prozesses ist auch die Wahl des Materials entscheidend. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich gern mit Licht arbeite, denn es ist sehr minimalistisch und gleichzeitig eindringlich – und genau so ist es ja in Clubs. Wenn es dann an der Zeit ist, mit einem „endgültigen“ Kunstwerk zu beginnen, fange ich an zu testen, ob die Materialien in der Realität tatsächlich so funktionieren, wie ich es mir vorgestellt habe. Die Testphase macht am meisten Spaß, ist aber manchmal auch am frustrierendsten. In dieser Phase setze ich mich mit Leuten in Verbindung, mit denen ich oft zusammenarbeite, mit Materialimporteuren, mit Werkstätten, die über die von mir benötigten Werkzeuge verfügen, und mit anderen ausgelagerten technischen Fachleuten, mit denen ich Treffen organisiere, um die Möglichkeiten der Umsetzung, Bedenken, Komplikationen usw. zu besprechen. Ich liebe es, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die Expert*innen auf ihrem Gebiet oder in ihrem Handwerk sind und die ebenso daran interessiert sind, in ihrem Bereich und mit ihren Fähigkeiten zu experimentieren. Sobald die Tests abgeschlossen sind, baue ich oder bauen wir einfach die verschiedenen Elemente, für die ich mich entschieden habe, zusammen: Medium, Material, dann noch die Größe festlegen – voilà!

 

Redaktionelle Bearbeitung: Marion Holtkamp

 

Dieses Interview ist eine gekürzte Fassung des Interviews im Ausstellungskatalog Isabella Chydenius: Das Potenzial von Clubnischen – The potential of club corners, der ab 10.2.2023 hier für Sie zum freien Herunterladen (3,5 MB) zur Verfügung stehen wird. Das Buch selbst können Sie zum Preis von 10 EUR zzgl. Porto direkt am Finnland-Institut bestellen: Tel. 030-40 363 18 90, info@finstitut.de. Die Ausstellung läuft vom 9. Februar bis 11. November 2023.

 

Christine Nippe ist Kunst- und Kulturwissenschaftlerin und wirkt international als Autorin und Kuratorin. Sie ist an der Berliner Schwartzschen Villa für das Programm der Gegenwartskunst verantwortlich.

Christine Nippe on kansainvälisesti kirjailijana ja kuraattorina vaikuttava taide- ja kulttuuritieteilijä. Hän vastaa Berliinissä sijaitsevan kulttuuritalo Schwartzsche Villan nykytaiteen ohjelmasta.

Wir verwenden Cookies auf unserer Website, um Ihnen die relevanteste Erfahrung zu bieten
Weitere Informationen über die Verwendung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.