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© Finnland-Institut / Foto: Johanna Yrjölä

Drama auf Europäisch oder Von der Schwierigkeit, in der EU Beschlüsse zu fassen

Sollte es ein Europäisches Haus der Kultur geben und wenn ja, wie sollte es aussehen? Johanna Yrjölä, Praktikantin am Finnland-Institut in Deutschland, nahm zusammen mit 14 weiteren „Probanden“ aus Berliner Kulturinstitutionen am EU-Planspiel des Instituts für Auslandsbeziehungen ifa und des CIVIC Institut für internationale Bildung teil, das am 4. Juli 2016 auf Initiative von EUNIC Berlin im Finnland-Institut stattfand. Hier ihre Eindrücke:

Jeder von uns dürfte sich mal gefragt haben, womit sich die Europaparlamentarier wohl hinter geschlossenen Türen den lieben langen Tag beschäftigen. Beschlüsse zu fassen scheint eine ziemlich zähe Angelegenheit zu sein, und der Einsatz für die jeweils eigenen Interessen erinnert geradezu an den Kampf im Sandkasten.

Vieles, was uns komisch vorkommt, hat aber seine Erklärung. Dies habe ich an einem Tag im Juli begriffen, als ich an einem Planspiel teilnehmen durfte, das vom Institut für Auslandsbeziehungen ifa, CIVIC Institut für internationale Bildung und von EUNIC später im Herbst diesen Jahres lanciert werden soll und das nun von einer Gruppe von Praktikanten verschiedener Kulturinstitute in Berlin ausprobiert werden sollte. Das Spiel trug den Titel „Europa ein Zuhause geben“, und es bot uns allen die Gelegenheit, für einen Tag in die Welt der politischen Beschlussfassung in der EU einzutauchen.

Unsere Aufgabe bestand darin, uns durch einen Dschungel bestimmter Gesetzesvorlagen für die EU durchzuarbeiten und eine Verordnung für gesamteuropäische Kulturinstitute zu erarbeiten, in der jedes EU-Mitgliedsland und dessen jeweilige Kultur auf die eine oder andere Art repräsentiert sein sollten.

Wie in Brüssel bestand auch unsere Gruppe aus Mitgliedern aus den verschiedensten Ecken Europas. Statt aber jeweils unsere tatsächlichen Herkunftsländer oder persönlichen Ideen zu vertreten, sollten wir die Planung aus einer zunächst fremden Perspektive vorantreiben. Persönlich spielte ich die Rolle der Außenministerin Spaniens, und am selben Verhandlungstisch im Europäischen Ministerrat saßen außerdem noch die Ministerkollegen aus Frankreich, Polen und der Slowakei.

Bevor wir uns mit der eigentlichen Arbeit befassen konnten, wurden stapelweise Quellenmaterialien – bürokratisch und schwer verständlich – vor unserer Nase ausgebreitet. Da taten wir uns schon schwer, uns in die neuen Rollen zu begeben und uns die für die Länder charakteristischen Eigenschaften und Zielsetzungen anzueignen.

Bereits in dieser Phase wurde mir klar, wie vielfältig und eigenständig Europa tatsächlich als Region ist. Nehmen wir z.B. die Ziele und Absichten von zwei so unterschiedlichen Ländern wie Spanien und Finnland – unweigerlich unterscheiden sie sich, allein schon aufgrund der verschiedenen gesellschaftlichen Strukturen und der Geschichte. Trotzdem müsste und sollte es für die Länder möglich sein, innerhalb der EU an einem gemeinsamen Strang zu ziehen. Dies ist vielleicht nicht unmöglich, aber gelinde gesagt schwer zu bewältigen.

Kein Wunder, dass es emotional schon bei uns im Planspiel hoch herging und zu deutlichen Interessenkollisionen kam. Stunde um Stunde haben wir da gesessen und die einzelnen Paragraphen und Änderungsvorschläge diskutiert. Hinzu kam, dass uns keineswegs klar war, welche gesamteuropäischen Kulturwerte wir denn dem Rest der Welt präsentieren könnten. Hat Europa so etwas überhaupt, oder sind die einzelnen Mitgliedsländer viel zu unterschiedlich, als dass man von einer Gesamtkultur sprechen könnte? Die Aufgabe wurde auch dadurch nicht leichter, dass das System der Beschlussfassung über so viele Stufen geht. Innerhalb der EU erstellt die Kommission eine Gesetzesvorlage, zu der das Europaparlament und der Ministerrat Änderungen vorschlagen können. Sollten Letztere keine Einigkeit erzielen können, geht alles von vorne los. So erging es auch uns. Kaum hatten wir in etwa Einigkeit über die Vorlage erreicht – worüber manch einer schon sichtlich erleichtert schien – schon holte uns das Europaparlament auf den Boden der Tatsachen zurück, und die Vorlage kam als Bumerang zurück. Also alles auf Anfang…

Herausforderungen hin oder her – der Tag mit dem Planspiel war eine wirklich interessante Erfahrung! Ganz besonders deswegen, weil es uns zeigte, wie schwierig es ist, den Balanceakt zwischen den eigenen Zielsetzungen und dem allgemeinen Wohl zu finden. Dank des Planspiels sehe ich nun mit viel klarerer Sicht Richtung Brüssel. Wo allein unsere Gruppe bestehend aus 15 Personen solche Schwierigkeiten hatte, sich über den Inhalt der Gesetzesvorlage zu einigen, wie soll es dann gelingen, wenn mehrere Hundert genau das versuchen – bei so vielen Meinungen, wie es einzelne Personen gibt? In Zukunft dürfte ich tatsächlich etwas mehr Verständnis für die armen Politiker haben. Neben gutem Sitzfleisch und Argumentationstalent muss man in diesem Job schon wirklich eine Engelsgeduld haben. Und für ein so wichtiges Vorhaben wie ein Europäisches Haus der Kultur lohnt sich dies allemal! In dem intensiven und bereichernden Planspiel entstand am 4.7. schließlich jedenfalls der Entwurf einer Gesetzesvorlage.

Ein großes Dankeschön an EUNIC Berlin für den schönen, erkenntnisreichen Planspiel-Tag!

Autorin: Johanna Yrjölä, Praktikantin am Finnland-Institut in Deutschland
Übersetzung aus dem Finnischen: Suvi Wartiovaara

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