Warum Delfine nicht gern mit Menschen kuscheln und Buckelwale die Minnesänger der Meere sind: Meeresbiologe Karsten Brensing im Interview
Dr. Karsten Brensing ist ein deutscher Meeresbiologe, Verhaltensforscher und Autor, der sich als wissenschaftlicher Gutachter und Verfasser von populärwissenschaftlichen Büchern für ein besseres Verständnis von Tieren einsetzt. Katharina Bieling befragte ihn ganz im Sinne des Titels eines seiner Bücher: Wie Tiere denken und fühlen.
Sie setzen sich in Ihrer Forschung als Meeresbiologe besonders mit den Gefühlen von „Meeresbewohnern“ auseinander. Auf Ihrer Internetseite schreiben Sie zum Beispiel, nach umfassender Beschäftigung mit den Gefühlen von Delfinen sei es nicht mehr zu verantworten, sie als Therapietiere einzusetzen. Warum?
In meiner Doktorarbeit habe ich mich intensiv mit der Interaktion zwischen Menschen und Delfinen in so genannten Schwimmprogrammen beschäftigt. Ich habe in Florida und Israel untersucht, wie sich die Tiere unter den unterschiedlichen Bedingungen verhalten und ob sie die Nähe zu den Schwimmern suchen oder nicht vielleicht versuchen auszuweichen. Meine Ergebnisse zeigten genau das Gegenteil von dem, was die Betreiber der Schwimmprogramme proklamierten. Tatsächlich versuchten die Tiere in Florida den Schwimmern so gut, wie es nur irgendwie ging, auszuweichen. In Israel war die Situation eine andere, denn die Delfine folgten ihrem Lieblingstrainer, hatten aber an den Touristen, genauso wie in Florida, kein Interesse.
Die Therapie mit Delfinen ist eine Sonderform dieser Schwimmprogramme. Ich konnte in keiner Form Hinweise darauf finden, dass die Tiere für die Therapie hilfreich sind. Genau genommen ist alles eine perfekt inszenierte Show. Tiergestützte Therapie funktioniert im Normalfall dadurch, dass die Kinder gegenüber einem Tier langsam Vertrauen aufbauen. Es ist daher extrem wichtig, dass die Kinder unmittelbar die echte Reaktion des Tieres wahrnehmen. Bei Delfinen kann dieser Mechanismus nicht zustande kommen, weil der eigentliche Interaktionspartner des Delfins der Trainer ist, der jedes Kunststück des Delfins mit Futter belohnt. Somit wird der Delfin durch den Trainer „ferngesteuert” und ist überhaupt kein Interaktionspartner für die jungen Patienten. Wenn man dann noch erfährt, dass für den gleichen Preis zehn Familien ein Jahr lang mit Reittherapie versorgt werden können, dann komme ich nicht umhin, die Delfintherapie für reinen Betrug zu halten. Im Übrigen ist es ganz und gar nicht möglich, die Tiere artgerecht zu halten, aber das ist ein anderes Thema.
Auch in unserer Ausstellung A I S T I T / coming to our senses kommt es zu Begegnungen mit Meeresbewohnern, die Künstlerin Kati Roover beschäftigt sich zum Beispiel mit Walgesängen. Was denken Sie, welche Bedeutung haben Gefühle bzw. Sinne im Leben von Walen, Delfinen bzw. Tieren, mit denen Sie sich in ihrer Forschung beschäftigen?
Besonders der akustische Sinn ist für Wale und Delfine immens wichtig. Für sie ist die Akustik nicht nur ein Weg der Kommunikation, sondern auch Bestandteil ihrer Orientierung und Jagd. Ohne den akustischen Sinn funktioniert ihre Wahrnehmung nicht.
Wale und Delfine gehören mit zu den interessantesten Wesen, wenn man die Kommunikation von Tieren erforschen möchte. Delfine haben zum Beispiel ein umfangreiches Vokabular und wir wissen, dass sie in der Lage sind, Grammatik zu verstehen.
Walgesänge wie die der Buckelwale sind wiederum aus einem anderen Grund ausgesprochen faszinierend. Bei ihnen handelt es sich um so etwas wie Mode. Ähnlich wie wir die Form des Kragens oder die Farbe eines Kleidungsstücks im Verlauf der Zeit ändern und damit zeigen, dass wir mit der Mode gehen, so ändern Buckelwale jährlich ihre Lieder. Wer dies am schnellsten und am besten hinbekommt, hat die besten Chancen bei der Partnersuche. Buckelwale sind sozusagen die Minnesänger der Meere.
Lustig ist auch eine Anekdote, bei der ein Belugawal einem Taucher zurief, er solle auftauchen. Der Wal hatte die Kommunikation zwischen Marinetauchern gehört und das Kommando zum Auftauchen imitiert.
Woran haben Sie bis jetzt geforscht und hat Sie dabei in Ihrer Forschung etwas besonders überrascht?
Zwei Dinge waren für mich ausgesprochen überraschend und hatten großen Einfluss auf meine Einstellung. Zum einen hatte ich in der Vorstudie zu meiner Doktorarbeit die Beobachtung gemacht, dass die Delfine in den Schwimmprogrammen tatsächlich gern zum Menschen schwammen. Meine Daten zeigten genau das Gegenteil und mir wurde klar, dass ich auf eine einfache Sinnestäuschung hereingefallen war. In einem Becken mit acht Menschen und fünf Delfinen ist praktisch zu jeder Zeit irgendein Delfin irgendwo in der Nähe eines Menschen. Unser Auge springt permanent von einem zum anderen, deshalb haben wir nach einer halben Stunde den Eindruck, die Delfine seien ständig um die Menschen herum. Die Realität war eine ganz andere! Das war ernüchternd für mich und ein gutes Beispiel, wie wenig wir unseren Sinnen vertrauen sollten, wenn wir Dinge objektiv betrachten wollen.
Der zweite Moment ergab sich in meinem Arbeitszimmer bei der Recherche für ein Buch. Im Sommer lasse ich gern die Türen zum Garten auf und manchmal kommt eine Maus in mein Arbeitszimmer. Ich fange sie dann mit einer Lebendfalle und lasse sie draußen wieder frei. Eines Tages war diese Falle zugeschnappt und der Köder verschwunden. Außerdem beobachtete ich ringsherum viele kleine Gegenstände, wie Steine, Federn und Stöckchen, die ich nicht dorthin gelegt hatte. Beim genauen Hinsehen erkannte ich, dass ein kleines Steinchen in dem Mechanismus klemmte und einen Spalt freigab. Es gab keine andere Erklärung für die Beobachtung, als dass eine andere Maus die Gefangene befreit haben musste. Ich konnte es nicht glauben, also habe ich recherchiert und tatsächlich eine Veröffentlichung gefunden, bei der dieses Phänomen wissenschaftlich untersucht wurde. Wenn ich früher glaubte, dass uns Menschen nur hoch entwickelte Tiere wie Menschenaffen, Elefanten und Delfine ähnlich sein müssen, dann bin ich heute davon überzeugt, dass vermutlich die meisten Vögel und Säugetiere ganz ähnlich empfinden wie wir. Letztlich haben sich all unsere kognitiven Fähigkeiten und Gefühle im Verlauf der Evolution entwickelt und dies war lange, bevor an die Menschheit in dieser Form auch nur zu denken war.
Sie gehen auf Ihrer Webseite auch auf Ihre persönliche Laufbahn als Meeresbiologe ein. Welche Rolle spielten der Fall der Mauer und das Ende der DDR für Ihren Werdegang?
In der ehemaligen DDR konnte ich nicht Meeresbiologe werden, denn ich hatte keine Freigabe für internationale Reisen. Für mich war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich gehörte mit zu den ersten paar Hundert Flüchtlingen, die im Sommer 89 die DDR illegal verlassen haben.
Als Wissenschaftler popularisieren Sie Ihre Untersuchungen und verfassen auch Kinderliteratur. Der Titel eines Ihrer Bücher lautet: Wie Tiere denken und fühlen. Was für eine Resonanz haben Sie darauf erhalten?
Um ehrlich zu sein wollte ich nie ein Kinderbuch schreiben. Ich habe sowohl meiner Agentur als auch dem Verlag gesagt, dass meine Themen eigentlich zu kompliziert für ein Kinderbuch seien. Dennoch erbaten sie ein Probekapitel und waren begeistert.
So ist in kurzer Zeit ein Kinderbuch entstanden, das sogar zum Wissensbuch des Jahres 2019 gekürt wurde. Heute macht mir das Schreiben von Kinder-Sachbüchern richtig Spaß.
Da ich einige Zeit Mikrobiologie unterrichtet habe, ist vor kurzem, gemeinsam mit meiner Frau Katrin Linke, ein Buch mit dem Titel Die spannende Welt der Viren und Bakterien herausgekommen. In diesem Buch lernen wir, dass Viren und Bakterien nicht nur unsere Feinde sind, sondern dass es beispielsweise keine Säugetiere ohne Viren gäbe und dass wir ohne Bakterien in unserem Dreck ersticken würden. Was die wenigsten wissen: Selbst unsere Gene bestehen zu einem großen Teil aus Genen von Viren und wir haben mehr Bakterien in und an uns, als wir Körperzellen haben.
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2.6.2021, 19.00 Uhr | Empathy and Feelings in Animals. Online-Diskussion mit Kati Roover und Karsten Brensing im Rahmen der Ausstellung A I S T I T / coming to our senses.