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Foto: privat

„Ich habe immer das Gefühl, dass man sich um mich kümmert“

Sebastian Segnitzer wollte nach dem Abschluss eines Ingenieurstudiums in Deutschland zur Politikwissenschaft wechseln. Den passenden Studienplatz fand er an der Universität Helsinki. Die Unis in Finnland lobt er für ihre Freiheit, flache Hierarchien und den umfassenden Service für Studierende. Sebastian, der die freie Natur sehr liebt, genießt seine Zeit in Nordeuropa – er weiß aber auch, dass Finnland nicht unbedingt für jede*n etwas ist. Riikka Maukonen hat ein Interview mit ihm geführt.

 

Was studierst du?

Ich studiere im Master-Programm Global Political Economy der Uni Helsinki, das Teil der Sozialwissenschaftlichen Fakultät ist. Vorher habe ich meinen Bachelor in Ingenieurwissenschaften an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heidenheim gemacht.

 

Wie kam es zu dem Entschluss, in Finnland zu studieren?

Das hatte verschiedene Gründe. Meinen ersten Kontakt mit Finnland hatte ich in der Oberstufe während eines zweiwöchigen Comenius-Austausches in Helsinki. Ich habe mich in meiner Gastfamilie sehr wohl gefühlt und habe sie auch nach dem Austausch in Finnland des öfteren besucht.

Nach meinem Bachelor habe ich zunächst in Deutschland nach einem passenden Master-Studiengang gesucht, aber mit einem Ingenieurs-Abschluss einer Fachhochschule wäre es für mich schwierig geworden, für ein sozialwissenschaftliches Fach die Zulassung der Uni meiner Wahl zu bekommen. Deutsche Universitäten sind ziemlich auf ihren Status bedacht!

Außer an der Uni Helsinki hätte ich auch einen Studienplatz an der Uni in Stockholm und an der Uni in Leiden, in den Niederlanden, bekommen können. Meine guten Erfahrungen auf dem Gymnasium in Finnland und meine Freunde dort gaben schließlich den Ausschlag für die Entscheidung, nach Finnland zu gehen.

 

Wie ist das Studentenleben in Finland? Was gefällt dir besonders daran?

Rundum gut! Ich mag Helsinki wirklich und bin froh, hier in Vollzeit genau das studieren zu können, was ich möchte. Meine Entscheidung, zum Studium hierhin zu gehen, habe ich bisher nie bereut.

Die Leistungen für Studierende machen das Leben ziemlich einfach. Die Wohnung, die ich durch HOAS (Helsinki Student Housing Foundation) bekommen habe, ist bezahlbar. Ich lebe in einer WG in guter Lage, meine Miete beträgt 340 Euro. Darin sind Wasser und Strom enthalten sowie die Möglichkeit, die Waschmaschine, den Fitnessraum und die Sauna im selben Gebäude zu nutzen. Das ist super! In Deutschland muss man sich normalerweise auf dem privaten Wohnungsmarkt um eine Unterkunft – die dann meistens bedeutend teurer ist – bemühen.

Die Uni Café-Mensen sind auch eine tolle Sache. Dort können Studierende Frühstück, Mittag- und Abendessen von guter, gesunder Qualität zu vernünftigen Preisen bekommen. Und dann möchte ich noch den Uni-Sport erwähnen: Eine Jahres-Mitgliedschaft kostet 130 Euro und umfasst den Zugang zu gut ausgestatteten Fitnessräumen und einer großen Bandbreite an Sportkursen. Sehr gut ist auch, dass Studierende den öffentlichen Nahverkehr zu ermäßigten Preisen nutzen können.

Ich habe ja das Glück, dass ich hier auch schon Leute kannte und dadurch eine Art „Sicherheitsnetz“ habe. Die Finnen haben ihre sozialen Kontakte zwar hauptsächlich untereinander, aber es ist nicht unmöglich, sie näher kennenzulernen. Und alle sprechen gut Englisch! Ich habe viele neue Freunde gewonnen. Und ich hatte immer das Gefühl, dass man sich um mich kümmert.

 

Wie würdest du die Unterschiede zwischen finnischen und deutschen Unis beschreiben?

Ein richtiger Vergleich ist mir nicht möglich, denn ich habe ja nicht an einer deutschen Universität studiert. An der Fachhochschule war das Studium viel stärker vorstrukturiert und von den Lehrveranstaltungen her festgelegt. Es war ziemlich verschult und praxisorientiert. Hier ist das Spektrum der Lehrveranstaltungen weiter und ich kann freier auswählen, was mich interessiert. Wenn ich möchte, kann ich beispielsweise Kurse in Physik, Biologie oder Philosophie belegen.

Die Gesundheitsversorgung der Studierenden ist hier auch viel besser als in Bayern, wo ich herkomme. In Finnland kann ich medizinische Versorgung, auch zahnmedizinische, durch die europäische Krankenversicherungskarte in Anspruch nehmen. In Deutschland müsste ich für einige dieser Leistungen bezahlen. Die Ärzte würden sich auch nicht so viel Zeit für Untersuchungen nehmen wie in Finnland. Ich finde es echt bedauerlich, dass die neue Regierung in Finnland Kürzungen in der studentischen Gesundheitsversorgung plant.

 

Wie finanzierst du dein Studium?

Ich habe einen Online-Teilzeitjob bei der Firma, wo ich bereits vor meinem Umzug nach Finnland gearbeitet habe. Studium und Arbeit zu kombinieren, lief bei mir bisher ganz gut. Mein Studium wird aber ungefähr ein halbes Jahr länger dauern, als wenn ich nicht arbeiten müsste.

Was ich nicht genau weiß, ist, ob ich von finnischer Seite das Recht auf eine staatliche Studienunterstützung hätte. Darauf habe ich trotz aller möglicher Nachfragen bisher keine Antwort bekommen. Zu vielen Angelegenheiten in Sachen Studium bekommt man gut und einfach Informationen, aber hierzu leider nicht. Immerhin weiß ich von einigen Stipendien für Studierende.

 

Hat dich irgendetwas überrascht – im Guten oder im Schlechten? 

Ich persönlich hatte bisher keine wirklichen Probleme. Allerdings kenne ich Studierende aus verschiedenen Ländern, die unangenehme Erfahrungen gemacht haben. Manche wurden beispielsweise wegen ihrer Hautfarbe oder ihres ethnischen Hintergrundes schlecht behandelt.

Zurzeit herrscht unter den internationalen Studierenden wegen der Pläne der neuen Regierung auch generell ein Gefühl der Sorge. Studierende aus Ländern außerhalb der EU leben mit der Unsicherheit, ob sie in Finnland bleiben können oder nicht. Das ist ein Teufelskreis: Arbeitgeber trauen sich wegen dieser Unsicherheit nicht, Leute aus Nicht-EU-Ländern anzustellen, gleichzeitig brauchen diese Leute aber eine Arbeit, um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Das beunruhigt zurzeit viele. Glücklicherweise setzt sich die Universität Helsinki aktiv für eine Änderung der Lage ein!

Diese Problemlage betrifft deutsche Studis zwar nicht, aber die ganze internationale Community.

 

Welche Tipps würdest du für ein Studium in Finnland geben?

Ich würde raten, sich so bald wie möglich einen Termin beim Melderegister (engl. DDV Digital and Population Data Service Agency) zu besorgen, um sich registrieren zu lassen! Im August, zu Beginn des Studienjahres, einen Termin zu bekommen, ist fast unmöglich, wenn man sich nicht sehr rechtzeitig drum kümmert. Ohne Registrierung ist vieles sehr schwierig; man kann zum Beispiel keine Studentenermäßigung für den ÖPNV in Anspruch nehmen oder ein Bankkonto eröffnen. In Finnland braucht man für fast alle digitalen Transaktionen ein Bankkonto. Die Bürokratie ist genauso wie in Deutschland, nur auf digitale Weise! [lacht]

Außerdem kann ich nur empfehlen, sich so bald wie möglich in einen Finnisch-Sprachkurs einzuschreiben. Dadurch kann man bestens neue Leute kennenlernen und Grundkenntnisse in Finnisch erwerben. Je später man anfängt, desto schwieriger kann es werden, Finnisch zu lernen.

Und dann sollte man sich frühzeitig mit Finn*innen befreunden, die einen in ihr mökki [dt. Sommerhaus] einladen! Die Natur in Finnland mit seinen „tausend Seen” ist wunderschön. Ich mache gern Outdoor-Aktivitäten und bin sehr gern in der Natur. Es ist einfach toll, dass man im Wald Blaubeeren sammeln und diese dann auch gleich verarbeiten kann – ohne sie gründlich zu waschen oder sogar abzukochen wie in Deutschland.

Finnland und die nordischen Ländern im Allgemeinen sind einfach ideal, wenn man viel Zeit in der Natur verbringen möchte. Für Stadtmenschen hat Finnland wohl nicht so viel zu bieten, muss ich zugeben – obwohl ich Helsinki wirklich mag. Wenn du dich für schöne Städte und bemerkenswerte Architektur interessierst, ist Finnland nicht so vielversprechend wie die Länder in Mitteleuropa, würde ich sagen. Außer Helsinki, Turku, Porvoo und einigen kleineren Orten sind die finnischen Städte meistens ziemlich langweilig und betonlastig.

 

Wie sieht deine Zukunft momentan aus?

Im Politik-Sektor gäbe es die für mich interessantesten Job vermutlich entweder in Berlin, Brüssel oder Straßburg. Letzten Sommer habe ich ein Praktikum im Deutschen Bundestag gemacht. In Finnland ist es fast unmöglich, eine Arbeit in der Politik zu bekommen, wenn man nicht gut Finnisch spricht. Trotzdem möchte ich momentan in Finnland bleiben, wegen meiner finnischen Freundin.

Da ich die akademische Atmosphäre sehr mag, könnte es eine ernsthafte Option für mich sein, meinen Doktor zu machen. Dann könnte ich zumindest ein paar Jahre länger in Finnland bleiben als ursprünglich geplant. Ich könnte wahrscheinlich auch als Ingenieur arbeiten, aber das ist nicht mein eigentliches Ziel.

 

Übersetzung: Marion Holtkamp

 

Studium und Praktikum in Finnland | Broschüre des Finnland-Instituts

Study in Finland

Studyinfo

Foreign students in Finland

 

Riikka Maukonen war von August bis Dezember 2023 Volontärin am Finnland-Institut. Sie war dabei insbesondere für Studien- und Praktikumsberatung zuständig.

Riikka Maukonen on ollut harjoittelijana Suomen Saksan-instituutissa elokuusta joulukuuhun 2023. Hänen vastuullaan oli erityisesti instituutin opinto- ja harjoitteluneuvonta.

Riikka Maukonen var praktikant vid Finlandsinstitutet i Tyskland från augusti till december 2023. Hon ansvarade särskilt för institutets studie- och praktikrådgivning.

Riikka Maukonen was doing her internship at the Finnland-Institut from August to December 2023. She was in charge of the Institut’s studying and internship consultation.

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