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  • Datum: 01.03.2013 - 31.03.2013
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Monatstipp März 2013

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Hanna Laajalahti empfiehlt aus der Bibliothek des Finnland-Instituts:  Satu Taskinen, Der perfekte Schweinsbraten

„Ich legte das Stück Schwein auf den Tisch. Von draußen drang schon zum zweiten Mal schrilles Kreischen herein. Ich ging zum Fenster und drückte die Nase ganz dicht an die Scheibe, aber da nichts Bedrohliches zu sehen war, lediglich die Hecke, die unseren Vorgarten von der Straße trennte, begann ich von vorn. Lieber Herr Fidler, wie Sie im Forum „Schweinsbraten“ sehen können, halte ich eine Definition des perfekten Schweinsbratens für dringend erforderlich. Und dann, nach einer weitschweifigen Erklärung: fürs erste schlage ich die folgende vor. Ich hatte das Rezept viele Male durchgelesen. Gestern war ich damit im Supermarkt unterwegs gewesen und hatte alles gefunden außer Staudensellerie. Zum Rezept gehörte ein Foto, das ich als Vorlage an der Tür des Gewürzschrankes befestigte. Der perfekte Schweinsbraten.“

Eine Frau, ein Schweinebraten. Eine Finnin in ihrer Wiener Küche, eine Menge österreichische Traditionen. Taru, die Protagonistin in dem Erstlingswerk von Satu Taskinen bereitet ein festliches, traditionelles Essen vor. Es ist Allerheiligen und der Besuch der Schwiegermutter − „Frau Mutti“ genannt − und der Schwägerin samt 15-jähriger Tochter steht bevor. Als Ratgeber zum Kocherfolg dienen Taru ein im Internet gefundenes Rezept und ihre Nachbarin, die pensionierte Schauspielerin Frau Berger, die ihre Hilfsbereitschaft allerdings hinter weitschweifigem Quasseln verbirgt und Taru erstmal zum Einkaufen und in die Apotheke schickt. Die Sache stößt auf Schwierigkeiten, weil Taru nicht alle Zutaten findet – bis zum Ende des Romans bleibt Maggikraut ein Geheimnis –, weil verschiedene Mitmenschen ihr im Weg stehen und auf die Nerven gehen oder der Österreicher, ihr Lebensgefährte, sie zu Hause überraschen möchte.
Tarus innere Monologe zeigen, dass sie die Situation teilweise fürchtet, aber die Vorstellung des idyllischen amerikanischen Feiertages Thanksgiving tröstet sie auch und bringt sie zum Träumen. Sie hofft, dass ihr österreichischer „Schweinsbraten“ wirklich perfekt wird, so dass sie der Familie ihres Mannes die zu Allerheiligen erwarteten Speisen zu aller Zufriedenheit vorsetzen kann. Trotz aller Schwierigkeiten und Zweifel wird der Schweinebraten schließlich in den Ofen geschoben.
Eine Herausforderung in Romanen, die den Lauf eines einzigen Tages umfassen, ist die Entwicklung des Spannungsbogens. So lange die Geschichte sich um den Schweinebraten dreht, hält dies den Leser im Griff. Er verfolgt aufgeregt, ob der Schweinebraten, bevor er als Krönung des Festessens auf dem Tisch landet, verschwindet und ob am Ende tatsächlich die kulinarischen Erwartungen der launischen Frau Mutti erfüllt werden. Als die Familie endlich zusammen sitzt und sich nach allerlei Besucherankunfts-Hin und Her auf das Essen konzentriert, wird Taru, genau wie der Leser, unruhig und unzufrieden. Das lange Mittagessen zieht sich stundenlang hin, besonders die Schwägerin Elisabeth greift immer wieder zu den Knödeln. Nach dem Festessen verlangsamt sich die Geschichte, da sich alle vollgeschlagen haben − und so schlapp sind, dass es trotz aller Anläufe niemandem gelingt, zum Friedhof zu fahren oder auch nur Puzzle zu spielen.
Satu Taskinen zeigt in tragikomischer Weise, wie landesübliche Feiertage – egal ob in Österreich oder Finnland – immer eine Ansammlung von Traditionen, hohen emotionalen Erwartungen und gemischten Gefühlen bedeuten. In diesem Fall haben „die Urösterreicher“ Gelegenheit zu zeigen, welche Ausgangspunkte sie haben und wo sie sich befinden: Ein erwachsener Mann beispielsweise mutiert zum Kind und überlässt seiner Frau alle möglichen stressigen Angelegenheiten. Taru begegnet an einem Tag nicht nur dem üblichen Festtagsstress, sondern auch den Schwierigkeiten, denen jeder Ausländer irgendwann begegnen muss: Wie gehe ich mit meinem Hintergrund, meinen Verwandten, meinen Traditionen in der neuen Umwelt um? In welchem Maße sollte ich meinen Hintergrund verstecken und wie eine Einheimische wirken wollen, oder dies zumindest versuchen? Tarus „Schweinsbraten“ ist ein lustiger Versuch, sich als Österreicherin anzupassen und ihren Platz als Partnerin und Schwiegertochter zu definieren. Dadurch beschreibt die Autorin in diesem echten europäischen Familienroman aufschlussreich Finnen und Österreicher zugleich.

[aus dem Klappentext des Buches:]
Satu Taskinen wurde 1970 in Helsinki geboren. Sie studierte Philosophie und Germanistik an der Universität Helsinki. Nach mehreren Jahren in Deutschland und in den Niederlanden lebt sie seit 1999 in Wien. Für ihren Debütroman Täydellinen paisti (Der perfekte Schweinsbraten) bekam sie 2011 den finnischen Literaturpreis für das beste belletristische Erstlingswerk. Der Roman, inzwischen in der 3. Auflage, ist auch auf der European Book Prize 2012 Short List nominiert.

Autorin: Hanna Laajalahti, Volontärin Kunst am Finnland-Institut

Herzlich willkommen zu den Autorenlesungen mit Satu Taskinen am 11.3. in Kiel, 13.3. in Berlin sowie 14. und 15.3. in Leipzig!

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