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„Künstlerinnen mit Kindern in einer öffentlich geförderten Kulturinstitution zu zeigen, ist ein Versuch, etwas in unserer Gesellschaft zu bewegen“

Dr. Sylvia Metz ist Kunsthistorikerin und Kuratorin und hat die Ausstellung „Family Affairs“ im Kulturhaus Karlshorst konzipiert. Seit Sommer 2020 ist sie für das internationale Atelier- und Stipendienprogramm der Hessischen Kulturstiftung verantwortlich und lebt seitdem in Wiesbaden. Ein Impuls für die Konzeption der Ausstellung liegt leider nahe: Berufliches und familiäres Leben sind oft alles andere als leicht zu vereinbaren – auch für Kunstschaffende. Päivi Junttila befragte Sylvia Metz zu diesen „Familienangelegenheiten“.

 

Wie kam die Ausstellung Family Affairs zustande?

Als ich vor etwa zwei Jahren zum ersten Mal über diese Ausstellung nachdachte, haben mich zwei Fragen intensiv beschäftigt, mit denen sich Niina Lehtonen Braun und Laura Kärki ebenfalls in ihren Werken auseinandersetzen: „Was bedeutet eigentlich Familie heute?“ und „Warum gibt es so wenige erfolgreiche Künstlerinnen mit Kindern?“ Beide Fragen haben mich auf einer privaten und auf einer beruflichen Ebene interessiert. Ich habe, damals noch als freie Kuratorin und Autorin, mit vielen Künstlerinnen zusammengearbeitet, die mir von ihren Erfahrungen mit der Doppelrolle „Mutter und Künstlerin“ erzählten. Parallel dazu bin ich immer weiter in das Werk von Niina und Laura eingetaucht und irgendwann war es für mich einfach klar, dass diese Ausstellung, an die ich dachte, mit genau den beiden Künstlerinnen stattfinden muss, weil sie in ihren Arbeiten Fragen diskutieren, die sie vom rein Privaten auf eine gesellschaftsrelevante Ebene zurückbringen – und das finde ich wichtig.

 

Die Ausstellung umfasst Werke zweier finnischer Künstlerinnen: Niina Lehtonen Braun und Laura Kärki. Wie haben Sie sie kennengelernt?

Die Künstlerinnen habe ich zuerst über ihre Arbeiten in anderen Ausstellungen in Berlin kennengelernt. Mich hat bei beiden von Anfang an diese vermeintliche Leichtigkeit interessiert und fasziniert, mit der sie schwierige Themen in ihren Werken behandeln wie Alkoholismus oder Traumata, die sich über Generationen weitertragen innerhalb einer Familie. Dann habe ich begonnen, ihre künstlerische Entwicklung zu verfolgen und habe sie z.B. in ihren Ateliers besucht und versucht herauszufinden, was die beiden künstlerisch antreibt, was sie motiviert und woran sie sich eigentlich genau „abarbeiten“. Mir ist früh aufgefallen, dass es Schnittstellen in der Themenwahl gibt, und erst später wurde mir bewusst, dass beide ursprünglich aus Finnland kommen. Da ich aber glaube, dass es keine Zufälle im Leben gibt, denke ich, am Ende haben sie mich gefunden und nicht ich sie.

 

Die Ausstellung trägt den Titel Family Affairs. Wie setzen sich Niina Lehtonen Braun und Laura Kärki mit dem Thema „Familie“ auseinander?

Statt Kinder und Familie aus ihrem Leben zu verbannen, machen Niina Lehtonen Braun und Laura Kärki sie ausdrücklich zum zentralen Gegenstand ihrer künstlerischen Praxis. In der Ausstellung befragen die beiden Künstlerinnen eigene und fremde Familienstrukturen und deren Hintergründe in Skulpturen und Gemälden, raumgreifenden Installationen und kleinformatigen Zeichnungen. Einen zentralen Schwerpunkt dabei bildet die Frage nach der Rolle der Frau als Künstlerin innerhalb von familiären Beziehungen. Sie untersuchen die vermeintliche Unvereinbarkeit des Mutter- und Künstlerinnen-Daseins. Ihre Arbeiten verbinden Persönliches, wie ihre eigenen Bedürfnisse als Frau oder die Beziehung zu einzelnen Familienmitgliedern, die Erwartungen der Gesellschaft und religiöse Ansichten miteinander. Zugleich offenbaren sie, wie schonungslos unsere Gesellschaft und der Kunstmarkt mit Künstlerinnen umgehen, die Kinder haben. Weitere wichtige Themen im Werk beider Künstlerinnen, die sich auf familiäres Zusammenleben beziehen, sind die soziale Entfremdung zwischen engen Verwandten, Tabuthemen wie Alkoholismus und Alterseinsamkeit oder Nachkriegstraumata des Zweiten Weltkriegs.

 

Was macht Ihrer Meinung nach das Konzept der Familie zu einem interessanten Ausgangspunkt für Kunst?

Es ist ein Thema, das uns alle angeht und unseren Blick auf die Welt bestimmt. Jede(r) von uns hat eine Mutter, damit fängt ja alles an. Vielleicht kennen wir sie nicht, oder sie ist bereits gestorben, oder wir haben keinen Kontakt mehr. Oder sie ist vielleicht Ihre beste Freundin. Auf jeden Fall haben Sie eine Beziehung zu ihr, selbst, wenn Sie denken, dass Sie keine haben, ist das eine Form von innerer Beziehung. Und so ist das auch mit weiteren Familienmitgliedern. Warum gibt es Dinge, die in manchen Familien nicht gesagt werden dürfen? Warum denken manche Menschen, eine Familie sei nur eine „echte“ Familie, wenn es eine Mutter, einen Vater und mindestens ein Kind gibt? Das ist für mich absurd. Ich finde, wir alle könnten viel öfter darüber nachdenken, was wir mit dem Begriff der Familie verbinden, gerade in so unsicheren Zeiten wie diesen. Wo sind die Menschen, die uns Halt geben, was und wen brauche ich persönlich, um sagen zu können: Das ist meine Familie. Und wie gehe ich mit diesen Menschen um, welche Rollen weise ich ihnen zu – und welche nehme ich selbst vielleicht an, die ich gar nicht haben möchte.

 

In Ihrem Text zur Ausstellung sagen Sie, dass erfolgreiche Künstlerinnen mit Kindern immer noch eine Rarität sind. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Künstlerinnen- und Künstlerförderung und weiß, dass Künstlerinnen zahlenmäßig einen deutlich höheren Anteil an der künstlerischen Ausbildung an Kunsthochschulen und Akademien haben als ihre männlichen Kollegen. Bei prestigeträchtigen Ausstellungen oder Auszeichnungen dreht sich dieses Verhältnis jedoch nahezu um. Künstlerinnen verdienen weniger als ihre männlichen Kollegen, und wenn sie Kinder bekommen, müssen sie mit einem Karriereknick rechnen oder gar mit dem Ende ihrer Karriere. Bei Kuratorinnen ist das nicht anders. Erklärungsversuche für diese Situation gibt es viele, wenige überzeugen. Persönlich denke ich, dass das System Kunst noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen ist. Im Kunstmarkt gilt noch immer ein „Entweder-Oder“, Karriere oder Familie. Es ist am Ende eine Frage der Organisation. Selbstverständlich hat jeder Mensch nur ein bestimmtes Maß an Energie zur Verfügung. Wenn ich als Künstlerin meinen Job, die Familie, den Haushalt und am besten auch noch das Sozialleben der Familie managen soll, dann fällt früher oder später etwas hinten runter. Und das ist oft der Beruf. Nur ist es bei Künstlerinnen eben nicht so, dass man nach der Elternzeit mal eben zurück an den über Jahre frei gehaltenen Schreibtisch in der Firma kommen kann. Der Platz auf dem Messestand ist dann schon vergeben, weil die Künstlerin in der Elternzeit nichts produzieren konnte, oder weil die Galerie Angst hat, dass plötzlich ganz andere Werke entstehen könnten. So, als sei man an der Rolle der Mutter „erkrankt“. Das alles ist nicht neu, Generationen von Frauen vor uns haben bereits auf diesen Missstand aufmerksam gemacht. Linda Nochlin hat bereits 1971 ihren berühmten Aufsatz „Why have there been no Great Women Artists“ geschrieben. Manchmal denke ich, seit damals hat sich in unserem Bereich einfach so gut wie nichts verändert. Künstlerinnen mit Kindern in einer öffentlich geförderten Kulturinstitution zu zeigen, ist ein Versuch, sie sichtbar zu machen und etwas in unserer Gesellschaft zu bewegen.

 

Was hoffen Sie, dass die Besucher_innen von der Ausstellung mitnehmen können?

Ich würde mir wünschen, dass sie sich erlauben, ihre eigene familiäre Situation zu hinterfragen und gegebenenfalls auch einmal ganz neu zu denken. Und vielleicht achtet der eine oder die andere beim nächsten Kunstkauf darauf, wer das Bild eigentlich gemalt hat. Denn letztlich sind wir selbst es, die den Kunstmarkt bestimmen.


 

Die Ausstellung: Laura Kärki und Niina Lehtonen Braun: Family Affairs ist vom 6. November 2021 bis 9. Januar 2022 im Kulturhaus Karlshorst in Berlin zu sehen. Zum Rahmenprogramm gehören ein Gespräch der Künstlerinnen mit der Kunsthistorikerin Julia Rosenbaum am 20. November sowie eine Lesung aus dem Kinderbuch Mein Tabulu von Paula Kuitunen und Sören Kuitunen-Paul, in dem es um Angststörungen geht, am 12. Dezember 2021.

 

 

Päivi Junttila hat an der Universität Jyväskylä ihr Studium der Germanistik, Anglistik und Kommunikationswissenschaften abgeschlossen und war 2020 als Volontärin am Finnland-Institut tätig.

Päivi Junttila opiskeli Saksan kieltä ja kulttuuria Jyväskylän yliopistossa. Hän oli harjoittelijana Suomen-Saksan instituutissa syksyllä 2020.

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