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Antje-Britt Mählmann. Foto: privat

Frischer Wind aus dem Norden!

#Zusammenspiel: Interview über die Ausstellung von Fotokunst-Werken der Helsinki School mit Kuratorin Dr. Antje-Britt Mählmann von der Kunsthalle St. Annen, Lübeck.

Liebe Frau Mählmann, Sie sind die Kuratorin der Ausstellung Frischer Wind aus dem Norden!, die vom 26. Januar bis 26. April 2020 in der Kunsthalle St. Annen in Lübeck gezeigt wird. Für die Schau wurde eine Reihe von Fotokünstler_innen der Helsinki School ausgewählt, die sich in ihren Werken mit Natur und Landschaft auseinandersetzen. Wie kam es zu dieser Ausstellung?

Meine Faszination für die Fotografie aus Finnland begann vor einigen Jahren im Rheinland. Der Krefelder Kunstverein hatte mich gebeten, eine Vortragsreihe zu zeitgenössischer Fotografie zu halten. Aufgrund meines Fotografiestudiums in London und dem weiteren Studium der Kunstgeschichte in Düsseldorf war ich mit den „Fotoschulen“ dieser beiden Städte sehr vertraut. Die Helsinki School fand ich konzeptuell und ästhetisch sehr spannend – und auch anders als die zuvor genannten Beispiele. Sie wurde deshalb zum Thema eines der drei exemplarischen Vorträge zu „internationalen Fotoschulen“. Daraus entwickelte sich mein anhaltendes Interesse und weitere Vorträge, z.B. zum Düsseldorf Photo Weekend. Als ich im Sommer 2018 meine Kuratorenstelle in Lübeck antrat, einer Stadt, die seit Jahrhunderten enge Beziehungen zu Finnland pflegt, empfand ich dies als den idealen Ort, um meine theoretische Beschäftigung mit der Helsinki School endlich in Form einer Ausstellung praktisch umzusetzen.

Was ist für Sie das Besondere an der „Helsinki School“?

Anders als die Düsseldorfer Fotoschule, die von der „objektiven“ Ästhetik Bernd und Hilla Bechers geprägt wurde, zeichnet sich die Helsinki School für mich durch eine besonders sinnliche und emotional berührende Schönheit aus. Natürlich gibt es auch hier Künstler_innen, die sich auf eine eher wissenschaftlich-sachliche Weise dem fotografischen Bild annähern. Trotzdem schwingt für mich bei fast allen Fotoserien aus dieser Schule etwas Geheimnisvolles, eben ganz Subjektives, mit. Und das überträgt sich auf die Betrachtenden. Denn die Künstler_innen gehen Fragen nach, die eigentlich in jedem Menschen Resonanz finden. Etwas ganz Besonderes ist auch der familiäre Umgang der Studierenden und Absolvent_innen miteinander, die geprägt von Timothy Persons und anderen Professor:innen auf der ganzen Welt erfolgreich sind.

Der thematische Schwerpunkt des Finnland-Instituts liegt 2020 auf der Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur. Deshalb meine Frage: Wie gestaltet sich das Zusammenspiel von Mensch und Natur in den Arbeiten der Künstler, die Sie in Lübeck zeigen?

Sicher ermöglicht das Aufwachsen in Finnland besonders beeindruckende Naturerlebnisse, wie sie sich in vielen Werken der Helsinki School finden. In ihnen spürt man eine ausgeprägte Sensibilität dafür, wie fragil diese Natur aufgrund des ökologischen Handelns des Menschen geworden ist. Illkka Halso zum Beispiel errichtet fiktive Architekturen, in denen die Natur zumindest theoretisch sicher aufbewahrt werden könnte, wie z.B. in seiner Fotoserie Museum of Nature. Daraus spricht der Wunsch, dass solche Schutzarchitekturen nie notwendig werden sollen. Der junge Künstler Jaakko Kahilaniemi hingegen hat einen Wald geerbt, der sich seit Generationen im Besitz seiner Familie befindet, und arbeitet mit der Fragilität dieses Ökotops, das er kleinteilig dokumentiert, wiegt und vermisst, zugleich seine Biografie auf. Mensch und Natur sind hier untrennbar miteinander verbunden. Mikko Rikalas Beschäftigung mit der Natur ist konzeptuell und poetisch. Der ebenfalls noch junge Künstler konzentriert sich auf das Ephemere und die zeitlichen Prozesse, die allen landschaftlichen Veränderungen zugrunde liegen. Andere Künstler:innen rezipieren in ihren Fotografien die Tradition der Landschaftsmalerei mit ihren perspektivischen und formalen Besonderheiten. Dabei ist es so, dass die traditionell gemalte Landschaft meist als ein reiner Erkenntnisraum für den übergeordneten menschlichen Blick dient. In der zeitgenössischen Kunst wird sie verstärkt als ein phänomenologischer Raum wahrnehmbar, der sich mit allen Sinnen, nicht nur dem Auge, erschließt.

Würden Sie sagen, dass Fotograf_innen einen besonderen Bezug zur Natur haben?

Das kommt darauf an. Ich denke, das Umfeld, in dem man aufwächst oder sein künstlerisches Handwerk lernt, ist prägend. Sicher ist, dass die Fotografie sich oft der Natur gewidmet hat, zwangsläufig auch als Medium der Erforschung und Dokumentation. Ich denke dabei zum Beispiel an die erhabenen Naturfotografien des amerikanischen Fotografen Ansel Adams oder an die wunderbar abstrakten Detailaufnahmen von Pflanzen, die Albert Renger-Patzsch im Stil der Neuen Sachlichkeit geschaffen hat. Es liegt in der Natur des Mediums, dass die Übergänge zwischen dem Dokumentarischen und dem Künstlerischen oft fließend sind.

Das Thema „Klimawandel“ ist im Moment in aller Munde. Spiegelt sich dieses Thema auch in den Werken der Ausstellung wider, und falls ja, inwiefern?

Es spiegelt sich in vielen Werken der Ausstellung wider. Insbesondere zwei Künstlerinnen, Tiina Itkonen und Sanna Kannisto, betreiben seit vielen Jahren eine Art künstlerische Forschung in bedrohten Naturräumen. Tiina Itkonen bereist und fotografiert seit Jahrzehnten den Norden Grönlands und Alaska. Ihre über diesen Zeitraum aufgenommenen Landschaftsfotos machen die Folgen des Klimawandels unmittelbar sichtbar. Indem sie über lange Zeiträume hinweg immer wieder die gleichen Schnee- und Eislandschaften fotografiert, stellt sie die Fragilität dieser besonderen Lebenswelt deutlich heraus. Auch Sanna Kannisto reist an ferne Orte, um sie zu fotografieren. Sie hält sich regelmäßig im Amazonasgebiet auf, wo sie unter kontrollierten Bedingungen Tiere und Pflanzen fotografiert. Das Foto wie auch die experimentelle Anordnung als solche werden als Konstrukt offenbart. Sie lenkt den Blick auf die Schönheit und die Zerbrechlichkeit ihrer Bildakteure. Auch die Flora und Fauna des Amazonas sind ja im hohen Maß durch den menschengemachten Klimawandel und durch Raubbau bedroht.

Ich glaube, gerade jetzt ist es wichtig, auch anhand dieser künstlerischen Positionen in einer Ausstellung zu zeigen, von welch umfassender und lebensentscheidender Bedeutung das Fortbestehen der Natur für den Menschen ist. Die Bekämpfung des Klimawandels war ja ein zentrales Thema der finnischen EU-Ratspräsidentschaft 2019. Ich hoffe sehr, dass diese wichtige Aufgabe weiterhin im absoluten Fokus des öffentlichen Interesses bleibt.

Zur Ausstellung ist auch eine Publikation erschienen. Wie relevant sind Publikationen im Kontext der heutigen Kunstwelt eigentlich noch?

In der Kunst, und ganz besonders in der Fotografie-Szene, haben Bücher noch einen hohen Stellenwert. Sie sind wichtige Mittel für die Kommunikation, die kunstvolle Darstellung einer bestimmten Ästhetik oder eines Stils und nicht zuletzt auch gefragte Sammlerobjekte. Viele − heute vergriffene − Foto-Publikationen besitzen mittlerweile den Wert gefragter Kunstwerke. Natürlich gehören Bücher, wie die analoge Fotografie und die Printmedien, zu Dingen, deren Fortbestand durch den digitalen Wandel stark in Frage gestellt wird. Doch kein Instagram oder Blog der Welt kann meines Erachtens das haptisch fühlbare materielle Kunstbuch wirklich ersetzen. Solche Publikationen wie Helsinki School Vol VI. The Nature of Being richten sich unter anderem an ein Fachpublikum, doch wir möchten natürlich vor allem unsere Besucher_innen einladen, nach einem Rundgang durch die Ausstellung tiefer in deren Themen einzutauchen und die Bilder anhand ausgezeichneter Farbabbildungen im Buch noch einmal Revue passieren zu lassen. Mit einem Buch und der eigenen Imagination kann man sich eine neue Welt eröffnen. Kein neueres Medium schafft das im gleichen Maß.

Im Kontext der Ausstellung gibt es ja ein umfassendes Rahmenprogramm. Auf welches Event möchten Sie besonders hinweisen?

Obwohl die Auswahl mir etwas schwerfällt, möchte ich gerne auf zwei Events besonders hinweisen. Am 6. März 2020 ab 20 Uhr veranstalten wir erstmals eine Kunst-Party unter dem Titel Finland Calling in der Kunsthalle. Die finnische DJane Sarah Kivi legt auf, es gibt unter anderem eine Performance von Kunst-Studierenden aus Helsinki und Hamburg und natürlich finnische Drinks!

Ein weiteres besonderes Event ist der Kurzfilmabend Finland Shorts in Kooperation mit den Nordischen Filmtagen am 2. April 2020 ab 19 Uhr. Passend zur Ausstellung werden finnische Kurzfilme rund um Naturthemen zu sehen sein. Außerdem: Wer in Shorts kommt, erhält freien Eintritt!

 

Die Fragen stellte Dr. Laura Hirvi, Leiterin des Finnland-Instituts in Deutschland.

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In der Blogreihe #Zusammenspiel beschäftigt sich das Finnland-Institut während des Jahres 2020 mit der Wechselwirkung von Mensch und Natur.

Dr. Laura Hirvi ist seit 2015 Leiterin des Finnland-Instituts.

Laura Hirvi on toiminut vuodesta 2015 Suomen Saksan-instituutin johtajana.

Laura Hirvi har fungerat som chef för Finlandsinstitutet i Tyskland sedan 2015.

Laura Hirvi has been the director of the Finnish Institute since 2015.

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