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Tuomas Markunpoika. Foto: Mika Minetti

Wie österreichischer Barock finnisches Design inspirieren kann

Spätsommer 2021: Wir sitzen im Auto, auf dem Weg von Wien nach Berlin. Der Designer Tuomas Markunpoika, 39, hat zehn arbeitsreiche Tage im 800 Jahre alten Schloss der Fürstenfamilie Liechtenstein in der Nähe von Graz, genauer gesagt im Schloss Hollenegg, hinter sich. Das Schloss liegt in der Steiermark in Österreich, umgeben von grünen Weinbergen und Barockkirchen. Dort ist Kuratorin Alice Stori Liechtenstein Leiterin einer internationalen Designresidenz. Jetzt, nach Tuomas' intensivem Aufenthalt in Hollenegg, schauen wir kurz in Wien beim neuen Direktor der Vienna Design Week Gabriel Roland und anderen Bekannten, mit denen das Finnland-Institut eine langjährige und fruchtbare Zusammenarbeit pflegt, vorbei. In Fahrtrichtung Berlin bewegt sich der Verkehr im Schneckentempo vorwärts und ab und zu halten wir an, um eine Kaffeepause zu machen. Tuomas erzählt von seiner Residenzzeit und darüber, was ihn als Designer auf Schloss Hollenegg am meisten fasziniert hat. Unsere mehr als siebenstündige Autofahrt vergeht während des Gesprächs wie im Fluge.

 

Erzähl uns kurz etwas über dich. Wer bist du und woher kommst du?

Ich entwerfe und fertige zeitgenössisches Design: Leuchten, Möbel und andere Objekte, aus einer breiten Palette. Studiert habe ich Möbeldesign am Lahti Institute of Design und Kontextdesign an der Design Academy von Eindhoven in den Niederlanden. Dort habe ich 2012 einen Masterabschluss gemacht. Anschließend habe ich acht Jahre lang in Amsterdam gewohnt und gearbeitet, und in Berlin wohne ich seit etwas über zwei Jahren. Ursprünglich komme ich aber aus Jyväskylä.

 

Der größte Teil der Werke von Tuomas Markunpoika wird in London verkauft, wo er seit langem mit der Galerie FUMI zusammenarbeitet.

Die Sammler*innen kommen aus der ganzen Welt. Meine Möbel werden meist von Privatpersonen gekauft, die ich allerdings nicht persönlich kenne, da zwischen der Galerie und dem Endverbraucher oft ein Innenausstatter tätig ist, der den Kunden bezüglich der Anschaffungen berät.

 

Was für Materialien hast du in letzter Zeit bei deiner Arbeit verwendet?

Ich benutze ein breites Spektrum an Materialen. Meine neueste Serie besteht aus marokkanischem Kalkputz als Oberflächenmaterial, auch unter dem Namen „Tadelakt“ bekannt. Es handelt sich um ein Material, das viel im Handwerk benutzt wird und das vom Auftragen des Mörtels über die Behandlung mit Seife und das Polieren viele Arbeitsschritte umfasst. Der Mörtel wird mit Natursteinen verrieben und gehärtet und braucht mehrere Wochen zum Trocknen. Der Körper des Werks besteht aus Stahl, Aluminium, Styropor, Glasfaser und Epoxidharz. Bei etwa 90% meiner Arbeiten verwende ich diese Materialien. Ich entwerfe die meisten Arbeiten in Berlin und fertige sie auch selbst an, aber für die Mörtelarbeiten arbeite ich mit einem Subunternehmer zusammen. Schließlich reisen die Werke zur Fertigstellung nach Finnland, bevor sie in die Welt hinausgeschickt werden.

 

Mit Unterstützung des Finnland-Instituts wählt Schloss Hollenegg jährlich einen finnischen Designer aus. Wie hast du deine Residenzzeit erlebt?

Obwohl ich vorher noch nie als Residenzkünstler gearbeitet hatte, war mir Schloss Hollenegg nicht unbekannt. Ich habe nämlich viele Kolleg*innen in aller Welt, die dort schon tätig waren. Wahrscheinlich sind es sogar einige Dutzend! Teil dieser Tradition zu werden und auf den gleichen Pfaden wie viele meiner Designerfreunde zu wandeln war aufschlussreich. Und ich war durchaus überrascht, dass dort zu dieser Zeit keine anderen Designer*innen anwesend waren.

 

Lag das an der Pandemie?

Vielleicht. Mir scheint aber eher, dass dort in den Jahren zuvor zu viele Leute gleichzeitig waren, so dass es schwierig sein konnte, in Ruhe zu arbeiten.

 

Nach dem Residenzaufenthalt wirst du an der Ausstellung East to West im Schloss Hollennegg teilnehmen, die im Mai 2022 eröffnet wird und sich unter anderem mit dem Thema displacement – im Sinne von örtlicher Verlagerung – beschäftigt. Inspiriert von den orientalischen Artefakten des Schlosses untersucht die Ausstellung die kulturelle Wechselwirkung zwischen Ost und West. Wie bist du an das Thema herangegangen?

Ich habe das Schloss besichtigt und dessen Barock- und Rokokomöbel, chinesische und europäische Antiken, ganz großartige Objekte, Räume und Möbel bewundert – die Einrichtungsart und die Architektur. Inspiriert von diesen Anregungen habe ich ein Thema gewählt, das mich interessierte, und mich an die Arbeit gemacht. Meine Aufmerksamkeit galt vor allem der Architektur eines fast tausend Jahre alten Schlosses mit seinen Gewölbebögen, Säulen und Treppen – also Elementen, die nicht wie Möbel beweglich sind. All dies hat mich zu einem Dialog mit der Architektur und der Geschichte des Schlosses gebracht.

Ich habe keine einzelnen Objekte als Inspirationsquelle herausgegriffen, sondern mich für die Türrahmen interessiert, für die pompösen, symbolträchtigen, mit Holzschnitzereien verzierten Tore. Der Türrahmen als solcher hat ja keine Funktion, sondern er stellt eine Art Portal oder Durchgang von einem Ort zum anderen dar. Durch die Tür geht man in einen neuen Raum, und darin liegt die große Symbolik. Im Zusammenhang mit dem Thema örtliche Verlagerung habe ich einen Rahmen aus dem Roten Saal des Schlosses gewählt, ihn vermessen und ein 3D-Modell davon angefertigt. Meine Idee war, eine moderne Interpretation daraus zu schaffen und sie dann an einem neuen, überraschenden Ort zu platzieren, aber mit der gleichen alten Formensprache.

Tuomas Markunpoika und Alice Stori Liechtenstein. Foto: Mika Minetti

Ein Prototyp von Tuomas’ großformatigem Werk wird im Hinblick auf die Ausstellung East to West am Eingang zum Recyclingzentrum des Schlosses, auf einem Paradeplatz in der Nähe des romantischen Innenhofs, aufgestellt. Es ist tatsächlich eine reizvolle Idee, dass ein zeitgenössischer finnischer Designer damit Teil der jahrhundertealten Kette österreichischer Designer und Architekten wird. Sie alle prägen das Erscheinungsbild von Schloss Hollenegg seit dem 12. Jahrhundert.

Etwas an dem Schloss Interessantes war für mich, dass die meisten festen Gegenstände dort nicht original sind, obwohl sie so aussehen. Viele der Wandgemälde, die historische Ereignisse auf den Schlachtfeldern des 11. Jahrhunderts darstellen, sind erst vor wenigen Jahrhunderten oder sogar erst vor kurzem gemalt worden. Das Gleiche gilt für viele architektonische und bauliche Details. Es handelt sich um Kopien oder Neuinterpretationen bestehender Werke, vielleicht aber auch Fantasiegebilde. Gleichzeitig wirken sie aber auch echt und glaubwürdig.

 

Wie spiegelt sich das in dieser neuen Ausstellung wider?

In diesem Fall ist das displacement, die örtliche Verlagerung, sowohl materiell als auch konzeptionell. Bei dem von mir angefertigten Werk handelt es sich um die Nachbildung eines bestehenden Türrahmens, bei dem ein Element, das zum Roten Saal des Schlosses gehört, in zeitgenössischen Materialien wie Polystyrol und Polymerbeschichtung nachgebildet wird. Zugleich kopiert dies auch das in der chinesischen Kultur verbreitete Konzept des Kopierens, das stark vom westlichen und europäischen Urheberrecht und den Rechten des geistigen Eigentums abweicht. Der originale hölzerne Türrahmen befindet sich im Innenbereich, die von mir angefertigte Kopie im Außenbereich. Seine so genannte Funktion bleibt jedoch durchgängig dieselbe und symbolisiert den Übergang in einen anderen Raum.

 

Für Tuomas war es wichtig, dass sein Werk direkt mit dem Schloss verbunden war. In seiner Formensprache spiegelt das neue Werk die Geschichte des Gebäudes wider, aber es greift auch die Symbolik auf, die von jeher mit der Bewegung zwischen zwei Räumen verbunden ist – eine Art Übergangsritus.

Wie würdest du die gesamte Bedeutung der Residenz für deine Arbeit einschätzen?

Sie ermöglichte mir, mich von meiner gewohnten Umgebung loszulösen, zum Beispiel von meiner Arbeit im Atelier in Berlin. Das gab meiner Arbeit neue Inhalte. Hollenegg ist ein äußerst inspirierender Ort. Eine kleine Pause ist gut für die kreative Arbeit, denn dann steigt die Menge der Reize exponentiell an. Meine Sinne sind empfindlicher in einem Raum, der mir nicht vertraut ist. In der Residenz habe ich mehr gesehen und erlebt als sonst, weil man eben versucht, so viele Einflüsse wie möglich aus der Umgebung aufzusaugen. Ein normaler Mensch kann nicht unbedingt mit der gleichen Intensität beobachten.

Tuomas Markunpoika und Alice Stori Liechtenstein. Foto: Mika Minetti

Tuomas ist der Meinung, dass sich Schloss Hollenegg for Design dank der persönlichen Netzwerke seiner Organisatorin, Alice Stori Liechtenstein, von den vielen Residenzprogrammen abhebt. Und das Schloss selbst bietet einen einzigartigen Rahmen für die Designarbeit, die große Aufmerksamkeit erfordert. Ein Vorteil ist auch, dass Schloss Hollenegg eng mit der Vienna Design Week zusammenarbeitet, wo Alice Stori Liechtenstein unter anderem junge Designer*innen kuratiert.

Und was hälst du von der Dauer des Residenzaufenthaltes? Waren ein paar Wochen genug, um sich inspirieren zu lassen und seine eigene Arbeit zu entwickeln – oder wärest du gern länger geblieben?

Das reichte mir schon aus. In der Residenz habe ich viel Zeit allein verbracht. Es geht nicht darum, ein neues Werk zu schaffen, sondern die Idee ist, dass jeder Teilnehmer eine klare Vorstellung davon bekommt, was er nach dem Residenzaufenthalt machen möchte. Die Werke werden dann in ihrer eigenen Zeit geschaffen. Hätte man mehr Zeit, würde man seine eigenen Entscheidungen vielleicht zu sehr überdenken. In der Residenz werden konstruktive Gespräche mit Alice geführt, Leitlinien vereinbart und Ideen für die Zukunft entwickelt.

 

Übersetzung aus dem Finnischen: Benjamin Houitte, Roosa-Maria Muilu

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7.–29.5.2022 | Designausstellung East to West | Schloss Hollenegg

Das Residenzprogramm des Finnland-Instituts am Schloss Hollenegg besteht seit Juli 2020. Damals war Hanna-Kaisa Korolainen dort als erste Designerin in Residence aus Finnland tätig.

 

Mika Minetti war von 2020–2023 als Kulturreferent am Finnland-Institut tätig.

Mika Minetti toimii Suomen Saksan-instituutissa kulttuuriohjelman johtajana vuosina 2020–2023.

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