Zurück nach Finnland mit einem Koffer voller Berliner Luft
Anfang August 2019 kamen Kati Lommi und Pauli Orava nach Berlin, und vor ihnen lag ein Jahr Volontariat am Finnland-Institut. Mittlerweile ist es Juni, und beide blicken auf die vergangenen elf Monate in Berlin zurück. Es war ein Volontariatsjahr, das nicht nur die Möglichkeit Neues zu lernen und viele Erfolgserlebnisse umfasste, sondern auch Wendungen, von denen man im August nichts hätte ahnen können. Lesen Sie hier, wie ihr Jahr in der Friedrichstraße, mitten in Berlin, gelaufen ist.
Pauli Orava: Was war das nur für eine Stimmung ganz am Anfang! Erst eine richtige Taufe im Sturzregen auf dem Alexanderplatz und dann unnötiger Stress damit, wie ich die BVG-Monatskarte bezahlen sollte. Bei dir ist es vermutlich ein bisschen besser gelaufen?
Kati Lommi: Ich war vorher schon viele Male in Berlin gewesen und habe lange davon geträumt, eines Tages mal hier leben zu können. Deswegen war es ein unglaubliches Gefühl, am 1. August ins Flugzeug zu steigen und zu wissen, dass der Traum sich nun verwirklichen würde. Berlin ist eine großartige Stadt, einerseits vertraut, aber gleichzeitig ist trotzdem jeder Tag voll von etwas Neuem, Überraschendem.
PO: Und in Berlin kann man sich wirklich leicht verlaufen. Anfangs war mein Orientierungssinn komplett durcheinander. Ich bin oft Richtung Brandenburger Tor gelaufen, obwohl ich eigentlich zum Alexanderplatz wollte…
KL: Ich habe auch eine ganze Weile gebraucht, bis ich ohne die App mit dem Berliner Nahverkehr klargekommen bin. Zum Glück war der Start am Finnland-Institut echt einfach! Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir von Anfang an als vollwertige Kolleg_innen behandelt wurden und schon nach der ersten Einarbeitungswoche richtig anspruchvolle Aufgaben bekommen haben. Ich habe, zum Beispiel, an verschiedenen Veranstaltungen wie Ausstellungseröffnungen und einer Podiumsdiskussion mitgearbeitet und auch viel Social Media-Planung und Content-Produktion gemacht. Es hat auch Spaß gemacht, wieder übersetzen zu können!
Mein eigenes Können und meine Interessen konnte ich auch in die Arbeit einbringen. Ich durfte mich an Projekten beteiligen, die mich auch persönlich stark interessierten. Ein gutes Beispiel ist die Ausstellung Wild at Heart und die finnische Beteiligung als Gastland auf der Vienna Design Week letzten Herbst. Mein Verständnis von der Kulturbranche, der Kunstszene in Finnland und und der Förderung des Dialogs zwischen Deutschland und Finnland ist während des Jahres bedeutend gewachsen – und dies alles gehörte zu meinen wichtigsten Zielsetzungen für das Volontariat.
PO: Boah, du bist ja richtig tief ins Kulturmanagement eingestiegen! Aber man merkt dir auch an, dass du beispielsweise vor Ideen in Sachen Social Media nur so sprudelst. Für mich ist die Kulturbranche ein ziemlich unbekanntes Gebiet, und ich habe meine Zeit gebraucht mich da einzuarbeiten. Ich bin diesbezüglich wohl eher an der Oberfläche geblieben, habe meine Berufserfahrung aber auf einer völlig neuen Ebene verfeinert. Zu meinen Stärken gehören soziale Fähigkeiten und Kreativität, und am Finnland-Institut habe ich unter anderem gelernt, wie man Detailplanungen effizienter entwirft und was für einen Einfluss die einzelnen Teilgebiete eines Projekts aufeinander haben. Beispielsweise haben wir im November in Wien ein Seminar zum Thema Finnlandschwedische Sprache und Kultur veranstaltet, an dem Menschen aus allen Ecken Deutschlands und Österreichs teilgenommen haben. Effektive Kommunikation und Koordination waren erstrangig, um das zweitägige Programm samt Autorenbesuchen gut durchführen zu können.
KL: Was sagst du zu unserem Team am Institut? Ich habe es sehr geschätzt, dass ich Gelegenheit hatte, in einem kleinen, aber effektiven Team mit so verschiedenen Persönlichkeiten mit vielseitigem Können zu arbeiten.
PO: Das sehe ich auch so, man kann von jedem und jeder etwas lernen. Von den Kolleg_innen bekommt man nicht nur Hinweise darauf, was für Fähigkeiten man weiterentwickeln sollte, sondern auch, wie. Und das vergrößert ja nur den Appetit! Aus den Weihnachtsferien bin ich noch hungriger als vorher nach Berlin zurückgekehrt, aber ein unsichtbarer Schelm hatte andere Pläne für den Frühling. Weißt du noch, wie Corona deinen Alltag am Institut geändert hat?
KL: Ja, die Nachrichten von dem neuen Coronavirus fingen ja im Spätwinter an, die Medien zu dominieren. Schon bald befanden wir uns in einer Situation, die ich mir nie hätte vorstellen können. Alle für das Frühjahr geplanten Veranstaltungen mussten entweder abgesagt oder in die digitale Welt beziehungsweise auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden. Dies hat natürlich die täglichen Arbeitsaufgaben beeinflusst, von denen die meisten etwas mit der Planung und Organisation von Veranstaltungen zu tun haben.
Auch sonst spielten sich die Arbeitstage mit der Einführung des Homeoffice im März auf einen Schlag nur noch in digitaler Umgebung ab. Unsere Arbeitsgemeinschaft ist zum Glück flexibel und mit kreativem Denken gesegnet, und so konnten wir reibungslos mit der Telearbeit anfangen: Ich zum Beispiel habe im Frühjahr von Helsinki aus gearbeitet. Ein besonderes Dankeschön möchte ich für ihr vorbildliches Leitungsvermögen in einer herausfordernden Situation an die Leiterin des Instituts, Laura, richten! Ich denke, dass das überraschende und außergewöhnliche Frühjahr das Gemeinschaftsgefühl unseres Teams nur gestärkt und uns beigebracht hat, wie man in einer Ausnahmesituation schnell reagieren kann.
PO: Das Homeoffice eröffnet ganz neue Arbeitsarten und -umgebungen. Ich habe mich auch dafür entschieden, von Finnland aus zu arbeiten, denn in Berlin war ja alles geschlossen. Im hohen Norden habe ich mein Gehirn durchlüften, philosophieren und über die Zukunft nachdenken können. Mitte Mai bin ich aber nach Berlin zurückgekehrt. Zwei Wochen in Quarantäne sind ein niedriger Preis dafür, dass ich hoffentlich noch die historischen Museen besuchen und die verschiedenen Stadtteile Berlins kennenlernen kann.
KL: Dieses Jahr ist wirklich äußerst unerwartet verlaufen! Wo nun die Rückfahrt nach Finnland immer näher rückt: Was für Mitbringsel packst du in deinen Koffer?
PO: Nicht viel Schnickschnack, aber desto mehr Erfahrungen! Als Erstes muss ich daran denken, wie ich mit unserem dritten Volontär Janne in Köln bei einem ehemaligen Institutspraktikanten, Chris, die Karnevalstimmung erlebt habe. Ein Volontariat hat den Vorteil, dass man neben all den Erfahrungen auch neue Freunde im Ausland findet!
Außerdem wurde meine Zukunftsplanung klarer. Obwohl ich das Volontariat von ganzem Herzen genossen habe, merke ich, dass etwas Wesentliches gefehlt hat. Schließlich ist mir klar geworden, dass Kulturmanagement nicht so mein Ding ist, sondern dass mein eigener Platz im Tourismus und in der Bildungsbranche liegt. Ich habe bemerkt, dass es mir nicht liegt, mich immer tiefer zu den Geheimnissen des Kulturmanagements vorzuarbeiten. Dafür war ich voll aufgeregt, als ich beim Europäischen Tag der Sprachen und auf der Messe Expolingua Mini-Finnischkurse geleitet habe.
A propos Lernen… zu meinen überraschendsten Berlin-Erfahrungen zählten Gesellschaftstanzkurse. Obwohl ich leicht Fremdsprachen lerne, musste ich dort unter anderem Foxtrottschritte üben, üben und nochmals üben. Ich habe auf die harte Tour gelernt, wie wir Menschen verschiedene Sachen auf verschiedene Art und in unterschiedlichem Tempo lernen. Diese Beobachtung wird mir sicherlich im Lehrerberuf weiterhelfen.
Das Jahr in Berlin ist nicht einfach gewesen, aber letztendlich werde ich mit einem Lächeln nach Finnland zurückkehren. Ich habe schon einige Pläne für die Zukunft, aber zuerst beiße ich in eine traditionelle finnische Schwarzwurst und trinke kalte Milch direkt aus der Packung.
KL: Das vergangene Jahr hat viele Schönes mit sich gebracht: tolle Kulturerfahrungen, unvergessliche Momente mit neuen und alten Freunden und viele Erfolgserlebnisse bei der Arbeit. Es war wunderschön, jeden Tag Deutsch zu sprechen und auf Deutsch arbeiten zu dürfen. Ich konnte meine Netzwerke erweitern, Neues im Bereich Kultur lernen, und durch die interessanten und vielfältigen Arbeitsaufgaben habe ich viele neue Kenntnisse und Knowhow erworben. Ich werde Berlins schöne Yogastudios, vegane Restaurants, Parks und das Nachtleben vermissen, aber das ist wohl immer so, wenn man die Stadt verlässt. Zum Glück kann man immer zurück kommen!
PO: Genau. Manchmal muss man weggehen, um zurückkommen zu können. Aber was für Tipps hättest du für die zukünftigen Volontäre?
KL: In Berlin kann man jeden Tag etwas Neues sehen und erleben! Es lohnt sich also, aktiv zu verfolgen, was um einen herum passiert, und die Atmosphäre und die Events der Großstadt voll und ganz zu genießen. Berlin bietet wirklich jedem etwas.
Wie bei allem Neuen ist es empfehlenswert, sich offen und neugierig auf das Volontariat einzustellen. Es lohnt sich, den anderen im Team das eigene Können gleich am Anfang vorzustellen und Ziele dafür zu setzen, was man während des Volontariats machen und lernen möchte. Das Institutsteam ist echt spitze, also wird alles mit Sicherheit gut laufen!
Übersetzung aus dem Finnischen: Janne Airaksinen
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Dieser Blogbeitrag ist Teil der Reihe harkkaripäiväkirjat (dt. Praktikanten-Tagebuch), in der Volontär_innen der Kultur- und Wissenschaftsinstitute Finnlands weltweit von ihrer Tätigkeit im Ausnahmezustand berichten. Andere Beiträge in der Reihe finden Sie hier:
Athen: “Harkkaripäiväkirja” im Blog Akropoliin juurelta (auf Finnisch)
Beirut: Libanonissa armeija valvoo ulkonaliikkumiskieltoa (auf Finnisch, dt. „Im Libanon überwacht die Armee das Ausgangsverbot”)
Berlin: Volontariat im Ausnahmezustand
Brüssel: Trainee’s diary (auf Finnisch)
London: Posts auf Instagram
Madrid: “Harjoittelijan päiväkirjasta” im Blog Entre culturas (auf Finnisch, dt. „Aus dem Tagesbuch eines Praktikanten”)
Oslo: Stories auf Instagram (auf Finnisch und Schwedisch)
Rom: #Andràtuttobene eli etätöissä instituutilla (auf Finnisch)
Stockholm: Stories auf Instagram (auf Schwedisch)
Tartu: Etätyön opetukset (auf Finnisch)