Mein Traumjob nah am Herzen der Kunst – und wie ich damit klargekommen bin
Mika Minetti war von 2020–2023 am Finnland-Institut tätig. Die Jahre waren durch die Unsicherheit charakterisiert, die Corona und die Kriege mit sich brachten, aber auch durch etliche gelungene Projekte, die jeweils viele Menschen erreichten. In seinem Abschieds-Blogbeitrag erzählt Mika von dieser Zeit: von der Entwicklung von Kreativität und Krisenbewältigung mit Hilfe von Fantasie und gemeinschaftlicher Arbeit vom Homeoffice aus, von der Förderung der internationalen Mobilität in der Kunst und vom Anstoßen gesellschaftlicher Diskussion.
Zu Beginn meiner Tätigkeit als Kulturreferent am Finnland-Institut 2020 konnte ich noch nicht ahnen, was für eine turbulente Zeit der Menschheit bevorstand. Im Januar schaffte ich es noch, auf einer Dienstreise in Lübeck vorbeizuschauen, wo wir – u.a. zusammen mit der damaligen Institutsleiterin Laura Hirvi und der Botschafterin von Finnland Anne Sipiläinen – die Eröffnung der Fotoausstellung Frischer Wind aus dem Norden in der Kunsthalle St. Annen feierten. Einige von den Künstler*innen der Helsinki School waren ebenfalls anwesend. In dieser Schau untersuchten und dokumentierten die Künstler*innen die Natur – Wälder, Tiere und Landschaft – und hoben die Veränderungen unserer Umwelt auf ihre jeweilige persönliche Art und Weise hervor.
Anfang Februar 2020 besuchte ich anlässlich der Eröffnung der Designausstellung Wild at Heart die Stockholm Design Week; die dortige Präsentation der Schau war durch die Zusammenarbeit mehrerer Institute ermöglicht worden. Im August des Jahres war diese großartige, von Tero Kuitunen kuratierte Ausstellung – nach Überwindung zahlreicher pandemiebedingter Hürden – auch in der Kämp Galleria in Helsinki zu sehen, und wie ein Wunder führte ihr Weg von dort aus im Oktober noch nach Tokio. Ursprünglich hatte die Schau in Helsinki als Teil der großen Designmesse Habitare gezeigt werden sollen – nachdem diese jedoch pandemiebedingt abgesagt wurde, war dies nicht mehr möglich.
Dann endete das Reisen schlagartig. Eine fürchterliche Pandemie breitete sich global aus und kulturelle Einrichtungen, Institute, Museen, Galerien, Theater, Opern, Konzerthäuser, Restaurants, Bars, Clubs, Festivals, Fitnessstudios, Sporteinrichtungen, Stadien, Einkaufszentren, Läden und Kinos wurden geschlossen. Ich erinnere mich an jenen Morgen im März: In der einen Hand hatte ich die frisch gedruckte Einladung zu einer von uns organisierten Diskussionsrunde in Berlin mit dem Designer Klaus Haapaniemi, der Künstlerischen Leiterin der Berlin Design Week Alexandra Klatt und Laura Sarvilinna, der Künstlerischen Leiterin von Habitare. In der anderen hielt ich die Gästeliste für ein von uns geplantes Konzert und Networking-Event für Kulturpersönlichkeiten, das in der Residenz der Botschafterin Finnlands in Österreich, Pirkko Hämäläinen, stattfinden sollte. Beide Ereignisse wurden am gleichen Tag abgesagt, die Einladungen flogen in den Mülleimer und wurden nicht wieder herausgeholt. Ähnliches sollte noch häufig passieren. Die Kolleg*innen vom Finnland-Institut gingen zum Teil ins Homeoffice über, und unsere Teambesprechungen – wie überhaupt alle Arbeitstreffen – wurden von nun an per Zoom abgehalten.
Es begann eine in der Geschichte der Menschheit so noch nie dagewesene Zeit, was auch neue Herausforderungen für Finnlands Kultur- und Wissenschaftsinstitute mit sich brachte. Ich fand mich in der Rolle eines Kulturproduzenten wieder, für den die Pandemie bedeutete, für jede geplante Veranstaltung mehrere Budgets erstellen zu müssen. Deren jeweilige Höhe hing davon ab, ob es sich um eine Veranstaltung mit Publikum vor Ort handelte und aus wie vielen Personen dieses Publikum bestehen würde. Ich überlegte, ob die Veranstaltungen nur über Online-Kanäle stattfinden sollten oder ob ein hybrides Modell möglich wäre, wo wir vielfältigen Online-Content bereitstellen, gleichzeitig aber auch die Einladung einer eingeschränkten Anzahl an Besucher*innen zu Ausstellungen und Konzerten möglich machen könnten. Gleichzeitig war es auch wichtig abzuschätzen, für wie viele Veranstaltungen wir selbstständig Videos drehen oder beispielsweise Podiumsdiskussionen als Livestream bereitstellen könnten, und für wie viele es nötig sein würde, die entsprechende Technik zu mieten oder relevante Inhalte von externen Dienstleistern zu besorgen. Es dauerte nicht lange, da verwandelten sich die Mitglieder unseres Teams in Expert*innen der Krisenbewältigung, und wir bewegten uns von einer Veranstaltung zur nächsten; nichts außer der eigenen Vorstellungskraft stand uns im Weg.
Wie die meisten von uns sich bestimmt erinnern, richteten sich die Corona-Einschränkungen nach der jeweils aktuellen epidemiologischen Lage. Die Unvorhersehbarkeit dieser Einschränkungen verursachte wirklich Kopfzerbrechen. Trotz allem gelang es uns, im ersten Jahr der Pandemie 63 Veranstaltungen zu organisieren, die ein Publikum von insgesamt 45.000 Personen erreichten. Ich sehe das als großen Erfolg. Gleichzeitig mussten wir aber 48 bereits organisierte Veranstaltungen absagen – oder auf ungewisse Zukunft verschieben. Ich mag gar nicht daran denken, wie viel Arbeit deshalb umsonst geleistet wurde.
Zu einem Highlight der Pandemie-Zeit zählte für mich das gemeinsame Projekt Together Alone des Netzwerks der Kultur- und Wissenschaftsinstitute Finnlands, das wir im Frühjahr 2020 starteten und über mehrere Jahre aktiv hielten. Ich gehörte zur Jury für die Ausschreibung, das heißt, ich durfte bei der Auswahl umsetzbarer Projekte mitwirken, die wir großzügig mit finanziellen Mitteln unterstützen wollten. Es gab eine unglaubliche Menge an Bewerber*innen – alleine im ersten Jahr 437 –, und alle von hoher Qualität. Offensichtlich bestand in der Pandemie großer Bedarf nach gemeinschaftlichem Online-Arbeiten. Das Video H-ome des Choreografen Emrecan Tanis sprach mich beispielsweise auf mehreren Ebenen an, möglicherweise dank seiner einprägsamen Visualität. Es hat mich wahnsinnig gefreut, das Tanzstück in Herbst 2020 einem großen Publikum präsentieren zu können, als wir es neben weiteren umwerfend schönen Werken im Rahmen einer Open Air-Veranstaltung auf die Großbildleinwand des Helsinkier Musiikkitalo projizierten.
Auch die Gruppenausstellung Zerbrechliche Zeiten – Fragile Times in der Galerie im Körnerpark in Berlin zur – wie der Name schon andeutet – fragilen Beziehung zwischen Mensch und Natur wurde zum Publikumserfolg. Seit der Eröffnung im Juli 2020 erreichte sie über 16.000 Kunstliebhaber*innen. In einer Zeit, in der die globale Pandemie unsere Welt erschütterte, erreichte die kuratorische Arbeit von Dorothee Bienert und Kati Kivinen neue Dimensionen. Die Ausstellung bot einen ruhigen Rückzugsort inmitten des alltäglichen Chaos – um innezuhalten, über die Zerbrechlichkeit des Lebens nachzudenken und eigene Handlungs- und Denkmuster neu zu bewerten.
Obwohl die Pandemie weiterhin zerstörerisch durch das Land fegte, gelang es uns 2021, ganze 204 Veranstaltungen zu organisieren, 2022 sogar 337 und 2023 fast ebenso viele: 323. Besonders unser Förderprogramm TelepART erfreute sich zunehmender Beliebtheit bei darstellenden Künstler*innen und Wissenschaftler*innen. So wurden Theater-, Performance-, Zirkus-, Burleske- und Musikstücke mit finnischer Besetzung nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und der Schweiz gezeigt. Im Rahmen dieser internationalen Zusammenarbeit unterstützten wir auch die Auftritte deutschsprachiger Künstler*nnen in Finnland. Für die Realisierung unseres Programms erhielten wir außerdem außergewöhnlich viele Fördergelder, unter anderem von der Jenny-und-Antti-Wihuri-Stiftung, der Finnish Cultural Foundation, der Saastamoinen-Stiftung und der Alfred-Kordelin-Stiftung. Das Einwerben von Geldern für unterschiedliche Projekte machte einen wichtigen Teil meiner Aufgaben am Finnland-Institut aus.
Aus jenen Jahren sind mir besonders eindrücklich die Veranstaltungsreihe A I S T I T / coming to our senses in Erinnerung geblieben – siehe hierzu im Folgenden – wie auch die elegant verwirklichte Ausstellung Nature Morte – Still Alive in der Stadtgalerie Kiel, kuratiert von keiner Geringeren als Ritva Röminger-Czako. Auch an die farbenfrohe Ausstellung des Graffiti-Künstlers EGS in der Galerie Urban Spree in Berlin erinnere ich mich gern zurück. Ich drehte damals in Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Mikaela Mäkelä ein Präsentations-Video zu diesem „finnischen Banksy“, das weiterhin auf dem Youtube-Kanal des Finnland-Instituts zu sehen ist. Wir interviewten dafür den Kunstsammler Timo Miettinen, dessen beeindruckende Sammlung im Salon Dahlmann in Berlin zu erleben ist. Zur Eröffnung der Schau von EGS gelang es mir sogar, Maria und Peter Didrichsen zu locken, die am selben Tag am Finnland-Institut zu Besuch gewesen waren. Im Sommer 2024 wird nun im Kunstmuseum Didrichsen die Ausstellung Embassy of EGS zu sehen sein.
Unter den deutschen Kulturfestivals war Nordischer Klang für mich ein äußerst willkommener Partner. Zusammen mit den Kolleg*innen aus Greifswald organisierten wir einen Wettbewerb zur Gestaltung des Festivalplakats, da Finnland 2021 bei Nordischer Klang thematisch im Fokus stehen sollte. Das Rennen machte die 24-jährige Studentin Taru Rantanen mit ihrem sympathisch anmutenden, mit Tierzeichnungen versehenen Plakat. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass die Verbindung des Festivals zu Finnland stets auch durch den Festivalleiter Professor Marko Pantermöller und seine bedeutende Rolle auf dem Gebiet der Fennistik gestärkt wird.
In Sachen zeitgenössischer Zirkus war es mir eine große Freude, unter anderem mit dem Theater Chamäleon Berlin zusammenzuarbeiten. Mein besonderer Dank gilt der künstlerischen Leiterin des Theaters Anke Politz sowie Lotta Nevalainen von CircusDanceFinland, der finnischen Informationszentrale für Zirkus und Tanz. 2023 war das Finnland-Institut erstmalig an der Gründung einer Residenz für Zirkuskünstler*innen beteiligt. So konnte die finnische Künstlerin Vilhelmiina Sinervo die deutsche Zirkuskunst-Landschaft durch einen mehrwöchigen Aufenthalt kennenlernen.
Ganz große Klasse war für mich die umfangreiche Kennenlerntour durch die Schweiz 2022 zusammen mit dem neuen Leiter des Finnland-Instituts Mikko Fritze. Wir wurden überall herzlich empfangen und gelangten im Rahmen der Reise sogar per VIP-Einladung auf die Messe Art Basel. Dort bestaunte ich zusammen mit unserer Ansprechpartnerin in der Schweiz Anu-Maaria Calamnius-Puhakka die angesagtesten – oder zumindest teuersten – zeitgenössischen Kunstwerke. Von finnischer Seite waren Werke von Kirsi Mikkola und Tom of Finland ausgestellt; in dem oben eingefügten Bild posieren wir vor einem Gemälde von Kirsi. Allerdings nahm keine einzige finnische Galerie an der Messe teil, so dass ich mich insgeheim fragte, ob finnische Kunst möglicherweise zu wenig kostet, um auf der Art Basel ausgestellt zu werden? Es ist dort in keiner Weise unüblich, für die Kunstwerke Millionen von Franken zu zahlen. Sonst würden die Aussteller*innen wahrscheinlich die hohen Teilnahmegebühren gar nicht stemmen können. In der Schweiz haben Anu und ich auch die von Vitra organisierten Sommerfeste genossen: Im Design-Museum auf dem Firmencampus in Birsfelden waren zahlreiche Perlen finnischen Designs ausgestellt, denn Vitra besitzt heutzutage die gesamte Skala der Produktion von Artek.
Ebenso gern blicke ich auf die mehrjährige Zusammenarbeit mit der Galeristin Anne Schwarz und der Kuratorin Christine Nippe zurück. Anne nahm den Künstler Aki Turunen nach unserer gemeinsamen Kuratorenreise nach Helsinki in ihre Galerie Schwarz Contemporary auf; Christine kuratierte für das Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst die unter anderem Werke samischer Künstler*innen umfassende Ausstellung Landscapes of Belonging zusammen mit Museumsleiterin Kathrin Becker. Mit Kathrin hatte ich bereits für die Ausstellung A I S T I T / coming to our senses fruchtbar zusammenarbeiten dürfen. Im Sommer 2021 bewunderten wir zusammen bei der Kunstbiennale in Helsinki die Videoarbeit Guhte gullá – Here to Hear von Outi Pieski und ihren Töchtern Birit und Katja Haarla. Christine und Kathrin hatten auf Einladung des Finnland-Instituts an der zum ersten Mal überhaupt stattfindenden Biennale teilgenommen. Schön war es, diese mehrkanalige Videoarbeit im darauffolgenden Jahr auch in Berlin zu sehen.
Ich bedanke mich auch bei der Kuratorin Sylvia Metz für die vielseitige Zusammenarbeit: Die Ausstellung Family Affairs von Laura Kärki und Niina Lehtonen Braun bewegte Ende 2021 zahlreiche Besucher*innen des Kulturhauses Karlshorst. Ich war selbst gerührt, als die Leiterin des Kulturhauses mir bei der Eröffnungsfeier auch einen Blumenstrauß übergab. Ebenfalls erwähnen möchte ich Susanne Prinz, die Leiterin des Kunstvereins am Rosa-Luxemburg-Platz. Mit ihr hatte ich Gelegenheit zu einer wunderbaren Zusammenarbeit im Rahmen der Ausstellung Moos. Aus diesem Anlass wurde auch ein thematisch passendes Abendessen – mit regionalen Speisen – organisiert: ein unvergessliches Erlebnis! Die Köstlichkeiten wurden auf langen Tischen im Ausstellungsraum serviert. Susanne hatte für dieses interkulturelle Networking-Event bekannte Persönlichkeiten der Kunstwelt aus Deutschland eingeladen, dazu natürlich auch die Künstler*innen der Ausstellung, die anlässlich der Eröffnung nach Berlin gereist waren. Alle Beteiligten erschienen vor Ort – außer den Finn*innen. Sie waren schon am Vormittag nach Leipzig gefahren, um sich mit Freund*innen zu treffen.
Kurator*in-Künstler*in Alana Lake wiederum realisierte mit uns in den spektakulären Räumlichkeiten von FELD+HAUS Projects in Berlin die Ausstellung Crush, die sich thematisch um queeres Begehren drehte. Dies geschah auf meine Initiative hin, denn Diversität, Inklusion, LGBTQ-Rechte und Zugänglichkeit lagen mir schon immer am Herzen; eigentlich bestimmten sie jedes Projekt, mit dem ich mich in meiner Tätigkeit am Finnland-Institut befasste. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bildung, das soziale Bewusstsein und die Stärke unserer Gesellschaft daran gemessen werden können, wie wir uns als Gemeinschaft gegenüber Minderheiten und sozial benachteiligten Menschen verhalten.
Mein letztes Jahr am Finnland-Institut wurde vom Krieg in der Ukraine und vom Nahost-Konflikt überschattet. Beide beschäftigten einen auf vielen Ebenen und beherrschten auch die Gespräche am Kaffeetisch. Am Finnland-Institut kooperierten wir eng mit unseren ukrainischen Kolleg*innen, unter anderem über das Netzwerk von EUNIC Berlin. Dessen jährlich veranstaltetes Bühnenevent Babylon Europa brachte ebenfalls Künstler*innen aus vielen verschiedenen Ländern zusammen. Ein weiteres eng mit der Ukraine verknüpftes Erlebnis war das im Finnland-Institut veranstaltete Cellokonzert von Risto Rajakorpi, bei dem das von Adam Vilagi komponierte Stück The Dark Train seine Weltpremiere hatte. Es behandelte den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Auch die Lage im Nahen Osten verursachte bei mir ein Gefühl von Ohnmacht und lähmte mich psychisch geradezu, auch, da ich in dieser Gegend bis heute viele gute Freund*innen habe. Ich habe früher mal einige Zeit in Tel Aviv gelebt und gearbeitet und im Rahmen meiner Arbeit die Region Palästina besucht, auch Gaza und die Westbank. Und in Bethlehem habe ich mit meiner Mutter einen Teppich gekauft…
Letztes Jahr hat das Finnland-Institut insgesamt über 300 Veranstaltungen im deutschsprachigen Europa organisiert, unterstützt, gefördert oder zu ihnen beigetragen. Es war für uns eine große Ehre, beispielsweise die Ausstellung Kartoffelpflanzen – Transformationen von Elina Brotherus im Museum Schloss Moyland zu unterstützen; die Schau schöpfte Inspiration aus dem Leben, den Aktivitäten und dem künstlerischen Schaffen des verstorbenen deutschen Künstlers Joseph Beuys. Die Leiterin des Museums Antje-Britt Mählmann hatte ich schon in Lübeck kennengelernt, auf meiner allerersten Dienstreise, vor Beginn der Pandemie. Dazwischen hatten wir uns auch in Bremen und Berlin getroffen. Auf meiner letzten Arbeitsreise nach Schloss Moyland habe ich auch den legendären Galeristen René Block getroffen, auch wenn wir im Wirbel der Eröffnung nicht die Gelegenheit hatten, ein tieferes Gespräch zu führen. Ich finde es immer noch schade, dass ich ihn bei unserem gemeinsamen Abendessen nicht auf seine Galerie in New York angesprochen habe, die in meinem Geburtsjahr eröffnet wurde.
Ende 2023 schloss ich die Vorbereitungen der von mir kuratierten Visiting Art/ists 2024-Ausstellung ab, zusammen mit dem dazugehörigen Katalog samt Interviews mit allen sechs finnischen Künstler*innen. Die Gruppenausstellung vereint deren Kunstwerke auf dem gedanklichen Hintergrund des berühmten Gedichts von Rainer Maria Rilke Ich finde dich in allen diesen Dingen. Die Schau setzt sich mit dem Verlust von uns lieb gewordenen Menschen oder Dingen auseinander und damit, wie wir sie erneut in umgebenden Gegenständen, Sinneserfahrungen und Kunstwerken entdecken können.
Dann kam der Zeitpunkt, an dem mein befristeter Arbeitsvertrag am Finnland-Institut zu Ende ging. Ich habe das Gefühl, dass ich in diesen vier Jahren kreativ alles herausgeholt – wie man auf Finnisch sagt: meine Geschichten erzählt und meine Lieder gesungen – habe. Um viele Erfahrungen reicher, habe ich den Staffelstab an meine Nachfolgerin Mirjami Schuppert weitergegeben. Ich wünsche ihr viel Freude und Inspiration bei dieser Arbeit! Es wird sich zeigen, was die Zukunft bringt. Es tut uns allen gut, uns ab und zu neu zu erfinden. Also bis bald, danke schön und auf Wiedersehen!
Mikas „Top 3“:
Visiting Art/ist:
Die jährliche Visiting Art/ist-Ausstellung des Finnland-Instituts ermöglicht finnischen Künstler*innen eine tiefgründige, langfristige und nachhaltige Arbeit im Sinne der Internationalisierung. Wahrscheinlich lag mir dieses Projekt gerade deswegen besonders am Herzen. Wahrscheinlich lag mir dieses Projekt gerade deswegen besonders am Herzen: Jedes Jahr lädt das Institut eine*n oder mehrere Künstler*innen zur Präsentation ihrer Werke in seinen Räumlichkeiten in der Friedrichstraße ein. Die Werke machen sich die Räume zu eigen und sind in beinahe jeder Ecke des Instituts zu sehen. Meine Vorgängerin Essi Kalima hatte 2020 Markus Jäntti als Gastkünstler eingeladen. Ich habe mich so sehr in seine Einhorn-Skulpturen verliebt, dass ich dazu unbedingt ein kleines Buch veröffentlichen wollte. So entstand das zweiteilige Begleitheft Geschichten von Einhörnern – Unicorn Stories. Damit war der Anfang für die Katalogwerke zur Visiting Art/ist-Reihe gemacht, für deren Layout die für ihre einzigartige visuelle Sprache bekannte Grafikdesignerin Catherine Nippe steht.
Als Gastkünstlerin für 2021 lud ich Helena Kauppila ein, mit der wir zusammen eine wunderschöne Ausstellung und die dazugehörige Publikation In der Unendlichkeit – Inside Infinity realisierten. 2022 war Jukka Korkeila und an der Reihe, mit seiner auffällig betitelten Schau Ganz Finnland weint: Tränen der Trauer, der Freude und des Heilens – All of Finland weeps: tears of sorrow, joy and healing. Als diese Namensgebung feststand, hatten wir noch keine Vorstellung davon, wie viele Tränen der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine weltweit verursachen würde. 2023 luden wir Isabella Chydenius im Rahmen des Visiting Art/ist-Programms zu der Werkschau Notizen über die Erschaffung von Räumen; das Potenzial von Clubnischen – Notes on creating space; the potential of club corners ein, die ihre Inspiration aus der Clubszene schöpfte.
Die letzte Ausstellung, die ich am Finnland-Institut kuratiert habe, heißt Ich finde dich in allen diesen Dingen – I find you in all these things und umfasst Werke sechs finnischer Künstler*innen; einen bedeutenden Teil davon machen neue Auftragswerke aus. Dieses Mal entstand zur Ausstellung sogar ein Katalog von 80 Seiten. Die mitwirkenden Gastkünstler*innen sind Jussi Goman, Jussi Jääskeläinen, Laura Kärki, Antti Pussinen, Jarkko Räsänen und Elsa Salonen. Ihre Kunst kann noch bis November 2024 am Finnland-Institut besichtigt werden.
Hier kann man alle Kataloge der Visiting Art/ist-Reihe kostenlos herunterladen:
Markus Jäntti: Geschichten von Einhörnern – Unicorn Stories
Helena Kauppila: In der Unendlichkeit – Inside Infinity
Jukka Korkeila: Ganz Finnland weint – All of Finland weeps
Isabella Chydenius: Das Potenzial von Clubnischen – The potential of club corners
Schloss Hollenegg
Gleich zu Beginn meiner Arbeit stand die Weiterentwicklung des Bereichs Residenzen an. Schon 2020 starteten wir die Zusammenarbeit mit der namhaften österreichischen Künstler*innenresidenz Schloss Hollenegg for Design. Diese Kooperation ermöglicht finnischen Designer*innen durch die Unterstützung des Finnland-Instituts einen Residenzaufenthalt im 800 Jahre alten Schloss Hollenegg in der Nähe von Graz. In den letzten vier Jahren haben Hanna-Kaisa Korolainen, Tuomas Markunpoika, Antrei Hartikainen und Jonas Lutz dieses Angebot wahrgenommen.
Im August 2021 schaute ich vor Ort vorbei, um Tuomas Markunpoika und natürlich auch Alice Stori Liechtenstein, die treibende Kraft von Schloss Hollenegg for Design, zu besuchen. Ich durfte die Gastfreundschaft der Fürstenfamilie Liechtenstein in ihrem märchenhaften Zuhause genießen, wo sich die Spiegel-, Fest- und Speisesäle wie Perlen einer Kette aneinanderreihten und die prächtigen Schlafzimmer mit ihrem Barock-Mobiliar in zärtlich gepflegten, jahrhundertealten Textilien, Brokatstoffen und Wandteppichen badeten. Es gab Blaue Zimmer, Rote Zimmer und Grüne Zimmer und dutzende Salons, Kammern, Terrassen, Türme und sogar eine gigantische private Barockkirche im Innenhof des Schlosses. Tuomas hinterließ seine Spuren in dieser „Landschaft“, als seine Kreationen im darauffolgenden Jahr bei der alljährlichen Ausstellung der Residenzkünstler*innen enthüllt wurden.
„Ich habe keine einzelnen Objekte als Inspirationsquelle herausgegriffen, sondern mich für die Türrahmen interessiert, für die pompösen, symbolträchtigen, mit Holzschnitzereien verzierten Tore. Der Türrahmen als solcher hat ja keine Funktion, sondern er stellt eine Art Portal oder Durchgang von einem Ort zum anderen dar. Durch die Tür geht man in einen neuen Raum, und darin liegt die große Symbolik”, meinte Tuomas in unserem Interview für den Instituts-Blog. Damals saßen wir zusammen im Auto auf dem Weg nach Wien, wo wir Gabriel Roland, den Leiter der Vienna Design Week, treffen sollten. In Wien habe ich mich auch immer gern mit meiner Kollegin Petra Hedman von der dortigen Botschaft von Finnland getroffen und mich mit ihr über den neuesten Stand der Dinge ausgetauscht. Es war eine große Freude für mich, all diese Jahre mit ihr zusammenzuarbeiten!
A I S T I T / coming to our senses
A I S T I T / coming to our senses war ein zweijähriges Kunstprojekt der Kultur- und Wissenschaftsinstitute Finnlands in den Benelux-Ländern, Großbritannien und Irland, Frankreich und Deutschland. Grundlegend ging es dabei um Sinneserfahrungen und ihre körperlichen, sozialen, politischen und technologischen Dimensionen im heutigen Europa. Als Projektkurator*innen wirkten Satu Herrala und Hans Rosenström, und ich selbst konnte die Ausstellung in Berlin betreuen. Wir setzen das Projekt in Zusammenarbeit dem KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst um, und von dort aus zog ein Großteil der Kunstwerke im Rahmen des Helsinki Festivals in die dortige Kunsthalle (Taidehalli). Die Kolleg*innen beim KINDL wussten zu berichten, dass die Ausstellung – vor allem die Video-Werke – manche Besucher*innen geradezu zu Tränen gerührt habe. Das nahm ich als positives Zeichen! Die Künstlerin Terike Haapoja hatte beispielsweise als Auftragswerk in einem Zoo in der Bronx in New York das dreikanalige Video-Werk On Belonging für die Ausstellung gefilmt; dazu gehörte auch eine gleichnamige Publikation. Von diesem Essay ließen wir gleich zwei Auflagen drucken, weil sie schon in Berlin wegging wie warme Semmeln. On Belonging beschäftigte sich mit der verletzten Beziehung zwischen Mensch und Tier, mit Freiheit und Unfreiheit. Ich habe mir die Arbeit bestimmt um die zehn Mal angeschaut und sie stets als genauso hypnotisch empfunden.
Barrierefreiheit, Vielfalt und Gleichberechtigung gehören schon lange zu den Schlüsselwerten des Netzwerks der Kultur- und Wissenschaftsinstitute Finnlands. Beim Kuratieren von A I S T I T / coming to our senses stand der Aspekt der Vielfalt von Anfang an im Fokus, und die am Projekt beteiligten Künstler*innen hatten alle einen sehr unterschiedlichen Hintergrund. Was für ein Glück, dass die Jenny-und-Antti-Wihuri-Stiftung zur Bewerkstelligung der Barrierefreiheit 12.000 Euro bewilligt hatte; hierdurch konnten blinde und sehgeschädigte Menschen sowie hörgeschädigte Personen an den Ausstellungen und Vorführungen uneingeschränkt teilhaben. Der Zuschuss wurde für Audiodeskription und andere zentrale Dienste in Sachen Barrierefreiheit eingesetzt. Audiodeskriptionen der Kunstwerke und Performances unserer Veranstaltung vermittelten Sehbehinderten, was der Hör-, Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn nicht verraten kann. Neben der Audiodeskription organisierten wir in der Kunsthalle Helsinki auch Führungen in Gebärdensprache. Es war sehr bereichernd, gemeinsam mit dem Team der Kunsthalle und unter anderem dem Kulturdienst für Sehbehinderte an der Gestaltung von Angeboten mitzuwirken. Ich hielt es für wichtig, einen direkten Kontakt mit dem Publikum aufzubauen, denen wir diese Dienstleistungen zur Verfügung stellen wollten.
Schlusswort
Herzlichen Dank an meine Kolleg*innen am Finnland-Institut sowie an alle Kooperationspartner*innen, mit denen ich in diesen vier Jahren zusammenarbeiten durfte. In diesem Blogbeitrag konnte ich leider nicht jede Person gesondert erwähnen, dafür waren es im Endeffekt doch zu viele.
Mika Minetti
Den Text übersetzte Venla Eilenberger.